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Tagebuch (German Edition)

Tagebuch (German Edition)

Titel: Tagebuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Frank
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kamen meine Gedanken wie von selbst auf Vaters und Mutters Ehe. Mir war diese immer als Vorbild einer idealen Ehe hingestellt worden. Nie Krach, keine bösen Gesichter, vollkommene Harmonie usw. usw.
    Von Vaters Vergangenheit weiß ich einiges und was ich nicht weiß, habe ich dazu phantasiert. Ich meine zu wissen, dass Vater Mutter geheiratet hat, weil er Mutter für geeignet hielt, den Platz als seine Frau einzunehmen. Ich muss sagen, dass ich Mutter bewundere, wie sie diesen Platz eingenommen hat und dass sie, soweit ich weiß, nie gemurrt hat und auch nie eifersüchtig war. Es kann für eine Frau, die liebt, nicht einfach sein zu wissen, dass sie im Herzen ihres Mannes nie den ersten Platz einnehmen wird, und Mutter wusste das. Vater hat Mutter dafür bestimmt bewundert und fand ihren Charakter hervorragend. Warum sollte er eine andere heiraten? Seine Ideale waren verflogen und seine Jugend war vorbei. Was ist aus ihrer Ehe geworden? Kein Streit und keine Meinungsverschiedenheiten – nein, aber eine Ideal-Ehe ist es doch auch nicht. Vater schätzt Mutter und hat sie gern, aber nicht mit der Liebe einer Ehe, die ich mir vorstelle. Vater nimmt Mutter so, wie sie ist. Er ärgert sich oft, aber sagt so wenig wie möglich, weil er weiß, welche Opfer Mutter bringen hat müssen. Über das Geschäft, über andere Dinge, über Menschen, über alles. Vater fragt sie längst nicht immer nach ihrem Urteil, erzählt nicht alles, denn er weiß, dass sie viel zu übertrieben, viel zu kritisch und oft viel zu voreingenommen ist. Vater ist nicht verliebt, er gibt ihr einen Kuss, wie er uns küsst, er stellt sie nie zum Vorbild, weil er das nicht tun kann. Er schaut sie neckend und spottend an, aber nie liebevoll. Es mag sein, dass Mutter durch das große Opfer hart und unangenehm für ihre Umgebung geworden ist, aber auf diese Art wird sie immer weiter vom Weg der Liebe abtreiben und immer weniger Bewunderung wecken. Bestimmt wird Vater einmal wissen, dass sie zwar niemals nach außen hin Anspruch auf seine volle Liebe gestellt hat, aber dadurch von innen langsam, aber sicher, abgebröckelt ist. Sie liebt ihn wie keinen anderen, und es ist hart, diese Art Liebe immer unbeantwortet zu sehen.

    Muss ich folglich nicht sehr viel Mitleid mit Mutter haben, muss ihr helfen? Und Vater? – Ich kann nicht, ich sehe immer eine andere Mutter vor mir, ich kann es nicht. – Wie sollte ich auch? Sie hat mir nichts von sich erzählt, ich habe sie nie danach gefragt. Was wissen wir von unseren gegenseitigen Gedanken? Ich kann nicht mit ihr sprechen, ich kann nicht liebevoll in diese kalten Augen schauen, ich kann nicht, nie! – Wenn sie nur ein bisschen was von einer verständnisvollen Mutter hätte, entweder Weichheit oder Freundlichkeit oder Geduld oder etwas anderes; ich würde mich ihr immer wieder zu nähern versuchen. Aber diese gefühllose Natur zu lieben, dieses spöttische Wesen, ist mir mit jedem Tag unmöglicher!
     

    Deine Anne

Samstag, 12. Februar 1944
    Liebe Kitty!
    Die Sonne scheint, der Himmel ist tiefblau, es weht ein herrlicher Wind, und ich sehne mich so, sehne mich so nach allem … Nach Reden, nach Freiheit, nach Freunden, nach Alleinsein. Ich sehne mich so … nach Weinen! Ich habe ein Gefühl, als ob ich zerspringe, und ich weiß, dass es mit Weinen besser würde. Ich kann es nicht. Ich bin unruhig, laufe von einem Zimmer ins andere, atme durch die Ritze eines geschlossenen Fensters, fühle mein Herz klopfen, als ob es sagt: »Erfülle doch endlich meine Sehnsucht.«
    Ich glaube, dass ich den Frühling in mir fühle. Ich fühle das Frühlingserwachen, fühle es in meinem Körper und in meiner Seele. Ich muss mich mit Gewalt zusammennehmen, um mich normal zu verhalten. Ich bin völlig durcheinander, weiß nicht, was zu lesen, was zu schreiben, was zu tun ist, weiß nur, dass ich mich sehne …
    Deine Anne

Montag, 14. Februar 1944
    Liebe Kitty!
    Für mich hat sich viel geändert. Das kam so: Ich sehnte mich (und ich sehne mich noch), aber … ein ganz kleines bisschen ist mir schon geholfen.
    Am Sonntagmorgen merkte ich schon (ehrlich gesagt, zu meiner großen Freude), dass Peter mich immerfort anschaute. So ganz anders als gewöhnlich. Ich weiß nicht wie, ich kann es nicht erklären, aber ich hatte auf einmal das Gefühl, dass er doch nicht so verliebt in Margot ist, wie ich gedacht habe. Den ganzen Tag schaute ich ihn absichtlich nicht oft an, denn wenn ich das tat, schaute er auch immer. Und dann –

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