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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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anschauen oder übersehn, man drückt sich an die schmierigen Kisten um ihnen den Weg freizumachen, behält den Hut in der Hand, wenn sie guten Abend sagen und weiß nicht, wie man es hinnehmen soll, wenn eine unseren Winterrock bereithält, daß wir ihn anziehn.
    8 II 12 Goethe: Meine Lust am Hervorbringen war
    grenzenlos.
    Ich bin nervöser, schwächer geworden und habe einen großen Teil der Ruhe, auf die ich vor Jahren stolz war, verloren. Als ich heute die Karte von Baum bekam in der er schreibt, daß er doch die Conference zum ostjüdischen Abend nicht halten kann und ich also glauben mußte, daß ich die Sache werde übernehmen müssen, war ich ganz unbeherrschbaren Zuckungen überlassen, wie kleine Feuerchen sprang das Aufklopfen der Adern den Körper entlang; saß ich, zitterten mir unter dem Tisch die Knie und die Hände mußte ich aneinanderdrücken. Ich werde ja einen guten Vortrag halten, das ist sicher, auch wird die aufs höchste gesteigerte
    Unruhe an dem Abend selbst mich so
    zusammenziehn, daß nicht einmal für Unruhe Raum sein wird und die Rede aus mir geradewegs kommen wird wie aus einem Flintenlauf. Es ist aber möglich, daß ich nachher niederfallen und jedenfalls es lange nicht werde verwinden können. So wenig Körperkraft! Sogar diese paar Worte sind unter der Beeinflussung der Schwäche geschrieben.
    Gestern Abend bei Baum mit Löwy. Meine Lebendigkeit.
    Letzthin hat Löwy bei Baum eine schlechte hebräische Geschichte "Das Auge" übersetzt.
    13. II 12 Ich beginne für die Konference zu Löwys Vorträgen zu schreiben. Sie ist schon Sonntag den 18ten. Ich werde nicht mehr viel Zeit haben mich vorzubereiten und stimme doch hier
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    ein Recitativ an wie in der Oper. Nur deshalb weil schon seit Tagen eine ununterbrochene Aufregung mich bedrängt und ich vor dem eigentlichen Beginn halbwegs zurückgezogen paar Worte nur für mich hinschreiben will, um dann erst ein wenig in Gang gebracht vor die Öffentlichkeit mich hinzustellen. Kälte und Hitze wechselt in mir mit dem wechselnden Wort innerhalb des Satzes, ich träume melodischen Aufschwung und Fall, ich lese Sätze Goethes, als liefe ich mit ganzem Körper die Betonungen ab.
    25. II 12 Das Tagebuch von heute an festhalten! Regelmäßig schreiben! Sich nicht aufgeben! Wenn auch keine Erlösung kommt, so will ich doch jeden Augenblick ihrer würdig sein.
    Diesen Abend verbrachte ich in vollständiger Gleichgültigkeit am Familientisch, die rechte Hand an der Sessellehne der neben mir Karten spielenden Schwester, die linke schwach im Schooß.
    Von Zeit zu Zeit suchte ich meines Unglücks mir bewußt zu werden, es gelang mir kaum. –
    Ich habe so lange nichts geschrieben, weil ich einen Vortragsabend Löwys im Festsaal des jüdischen Rathauses am 18. II 12 veranstaltet habe, bei dem ich einen kleinen Einleitungsvortrag über Jargon hielt. Zwei Wochen lebte ich in Sorgen, weil ich den Vortrag nicht zustandebringen konnte. Am Abend vor dem Vortrag gelang er mir plötzlich. Vorbereitungen zum Vortrag: Konferenzen mit dem Verein Bar-Kochba, Zusammenstellung des Programms, Eintrittskarten, Saal, Numerierung der Plätze, Schlüssel zum Klavier (Toynbeehalle), erhöhtes Podium, Klavierspieler, Kostümierung, Kartenverkauf, Zeitungsnotizen, Censur der Polizei und der Kultusgemeinde.
    Lokale, in denen ich war und Leute mit denen ich gesprochen oder denen ich geschrieben habe: Allgemeines: mit Max, mit Schmerler, der bei mir war, mit Baum, der zuerst die Conference übernommen hatte, sie dann ablehnte, den ich im Laufe eines dafür bestimmten Abends wieder umstimmte und der den nächsten Tag mit Rohrpostkarte wieder absagte, mit Dr. Hugo
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    Hermann und Leo Hermann im Kafe Arco, öfters mit Robert Weltsch in seiner Wohnung, wegen Kartenverkaufes mit Dr.
    Bloch (umsonst) Dr. Hanzal, Dr. Fleischmann, Besuch bei Frl.
    Taussig, Vortrag im Afike Jehuda (Rabb. Ehrentreu ber Jeremias und seine Zeit beim geselligen Zusammensein nachher kleine mißlungene Rede über Löwy), beim Lehrer Weiß (dann im Cafe, dann spazieren, von 12 bis 1 stand er lebendig wie ein Tier vor meiner Haustür und ließ mich nicht hinein) Wegen des Saales bei Dr. Karl Bendiener, im Flur des Rathauses mit dem alten Dr. Bendiener, zweimal in der Wohnung des Liebers am Heuwagsplatz, einigemal bei Otto Pick in der Bank, wegen des Klavierschlüssels beim Toynbeevortrag mit Hr. Roubitschek und dem Lehrer Stiassny, dann in des letzternWohnung den Schlüssel abholen und wieder

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