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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Bauchreden. Der Künstler scheinbar unbeteiligt, sitzt so wie wir, kaum daß wir in seinem gesenkten Gesicht die Mundbewegungen hie und da sehn und läßt statt seiner über seinem Kopfe die Verse reden. – Trotzdem soviele Melodien zu hören waren, die Stimme gelenkt schien wie ein leichtes Boot im Wasser, war die Melodie der Verse eigentlich nicht zu hören.
    – Manche Worte wurden von der Stimme aufgelöst, sie waren so
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    zart angefaßt worden, daß sie aufsprangen und nichts mehr mit der menschlichen Stimme zu tun hatten, bis dann die Stimme notgedrungen irgend einen scharfen Konsonanten nannte, das Wort zur Erde brachte und schloß.
    Nachher Spaziergang mit Ottla, Frl. Taussig, Ehepaar Baum und Pick, Elisabethbrücke, Quai, Kleinseite, Radetzkykaffee, Steinerne Brücke, Karlsgasse. Ich hatte gerade noch die Aussicht in die gute Laune, sodaß an mir nicht gerade viel auszusetzen war.
    5. III 12 Diese empörenden Ärzte! Geschäftlich entschlossen und in der Heilung so unwissend, daß sie, wenn jene geschäftliche Entschlossenheit sie verließe, wie Schuljungen vor den Krankenbetten stünden. Hätte ich doch die Kraft, einen Naturheilverein zu gründen. Durch Herumkratzen im Ohr meiner Schwester macht Dr. Kral eine Trommelfellentzündung zu einer Mittelohrentzündung; das Dienstmädchen fällt beim Einheizen hin, der Doktor erklärt es mit jener Schnelligkeit der Diagnose, die er gegenüber Dienstmädchen hat, für verdorbenen Magen und Blutandrang infolgedessen, am nächsten Tag legt sie sich wieder nieder, hat hohes Fieber, der Doktor dreht sie rechts und links, konstatiert Angina und läuft rasch weg, um nicht vom nächsten Augenblick widerlegt zu werden. Wagt sogar von
    "niederträchtig starken Reaktionen dieses Mädchens" zu reden, woran das wahr ist, daß er an Menschen gewöhnt ist, deren körperlicher Zustand seiner Heilkunst würdig und durch sie hervorgebracht ist und daß er sich durch die starke Natur dieses Mädchens vom Lande mehr, als er weiß, beleidigt fühlt.
    Gestern bei Baum. Vorgelesen "Der Dämon". Unfreundlicher Eindruck im Ganzen. Gute präcise Laune im Hinaufgehn zu Baum, sofortiges Nachlassen oben, Verlegenheit gegenüber dem Kinde.
    Sonntag: Im Kontinental bei den Kartenspielern.
    "Journalisten" mit Krämer vorher 1 1/2 Akte. Viele gezwungene Lustigkeit in Bolz ist sichtbar, aus der sich allerdings auch ein
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    wenig wirkliche zarte ergibt. Frl. Taussig vor dem Teater getroffen, in der Pause nach dem 2 Akt. In die Garderobe gelaufen, mit fliegendem Mantel zurückgekommen und sie nachhause begleitet.
    8. III (1912) Vorgestern Vorwürfe wegen der Fabrik bekommen. Eine Stunde dann auf dem Kanapee über Aus-dem-Fenster-springen nachgedacht.
    Gestern Hardenvortrag über "Teater". Offenbar gänzlich improvisiert, ich war in ziemlich guter Laune und habe ihn deshalb nicht so leer gefunden wie andere. Guter Anfang: "Zu dieser Stunde, in der wir uns hier zu einer Besprechung des Teaters zusammengefunden haben, teilt sich in allen Schauhäusern Europas und der übrigen Erdteile der Vorhang und enthüllt dem Publikum die Szene." Mit einer Glühlampe, die vor ihm in Brusthöhe auf einem Ständer beweglich angebracht ist, beleuchtet er die Hemdbrust, wie in der Auslage eines Wäschegeschäftes, und bringt im Laufe des Vortrages durch Bewegen dieser Glühlampe Abwechslung in die
    Beleuchtung. Fußspitzentanz, um sich größer zu machen sowie um die Improvisationsfähigkeit anzuspannen. Gespannte Hose selbst in der Leistengegend. Ein wie bei einer Puppe aufgenagelter kurzer Frack. Fast angestrengt ernsthaftes Gesicht, einmal einer alten Dame, einmal Napoleon ähnlich. Erblassende Färbung der Stirne wie bei einer Perücke. Wahrscheinlich geschnürt.
    Einige alte Papiere durchgelesen. Es gehört alle Kraft dazu das auszuhalten. Das Unglück, das man ertragen muß, wenn man in einer Arbeit, die immer nur in ganzem Zug gelingen kann, sich unterbricht und das ist mir bisher immer geschehn, dieses Unglück muß man beim Durchlesen wenn auch nicht in der alten Stärke, so gedrängter durchmachen.
    Heute beim Baden glaubte ich alte Kräfte zu fühlen, als wären sie unberührt von der langen Zwischenzeit
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    10. III 12 So.
    Er verführte ein Mädchen in einem kleinen Orte im
    Isergebirge, wo er sich einen Sommerlang aufhielt um seine angegriffenen Lungen wiederherzustellen. Unbegreiflich, wie manchmal Lungenkranke werden, warf er das Mädchen die Tochter seines Hauswirts, die am Abend nach

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