Tagebücher 1909-1923
Thürheim:
Die Mutter: "Ihrer sanften Art entsprach besonders Racine.
Ich habe oft gehört, wie sie zu Gott betete, er möge ihm die ewige Ruhe verleihen. "
Sicher ist, daß er (Suworow) bei den großen Diners die ihm zu Ehren der russische Botschafter Graf Rasumovsky in Wien gab, wie ein Vielfraß von den Speisen, die auf der Tafel standen aß, ohne auf jemanden zu warten. War er satt, so erhob er sich und ließ die Gäste allein.
Nach einem Stich ein zarter, bestimmter pedantischer, alter Mann.
"Es war Dir nicht bestimmt" schlechter Trost der Mutter. Das schlimme ist, daß ich im Augenblick fast keinen bessern brauche. Darin bin ich wund und bleibe wund, aber sonst zieht mich das regelrechte, schwach abgewechselte, halb tätige Leben der letzten Tage (Arbeit über den "Betrieb" im Bureau, Sorgen A.’ um seine Braut, Ottlas Zionismus, der Genuß der Mädchen bei dem Vortrag Salten – Schildkraut, Lesen der Memoiren Thürheim, Briefe an Weiß und Löwy, Korrektur der
"Verwandlung") förmlich zusammen und gibt mir etwas Festigkeit und Hoffnung.
24. (Januar 1914) Napoleonische Zeit: Wie sich die Feste drängten, alle hatten Eile "die Freuden der kurzen Friedenszeiten auszukosten". "Andererseits übten die Frauen auf sie ihren Einfluß wie im Fluge aus, sie hatten wirklich keine Zeit zu verlieren. Die Liebe von damals äußerte sich in erhöhter Begeisterung und größerer Hingebung"... "Heutzutage hat eine schwache Stunde keine Entschuldigung mehr. "
Unfähig, ein paar Zeilen an Frl. Bl. zu schreiben, zwei Briefe waren schon unbeantwortet, heute kam der dritte. Ich fasse nichts richtig und bin dabei ganz fest, aber hohl. Letzthin, als ich
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wieder einmal zu regelmäßiger Stunde, aus dem Aufzug stieg, fiel mir ein, daß mein Leben mit seinen immer tiefer ins Detail sich uniformierenden Tagen den Strafarbeiten gleicht, bei denen der Schüler je nach seiner Schuld zehnmal, hundertmal oder noch öfter den gleichen zumindest in der Wiederholung sinnlosen Satz aufzuschreiben hat, nur daß es sich aber bei mir um eine Strafe handelt, bei der es heißt "so oft, als Du es aushältst".
Anzenbacher kann sich nicht beruhigen. Trotz des Vertrauens, das er zu mir hat und trotzdem er Rat von mir will, erfahre ich die schlimmsten Einzelheiten immer nur beiläufig während des Gespräches, wobei ich immer das plötzliche Staunen möglichst unterdrücken muß, nicht ohne das Gefühl, daß er meine Gleichgültigkeit gegenüber der schrecklichen Mitteilung entweder als Kälte empfinden muß, oder aber als große Beruhigung. So ist es auch gemeint. Die Kußgeschichte erfuhr ich in folgenden zum Teil durch Wochen getrennten Etappen: Ein Lehrer hat sie geküßt – sie war in seinem Zimmer – er hat sie mehrmals geküßt – sie war regelmäßig in seinem Zimmer, weil sie eine Handarbeit für A.’ Mutter machte und die Lampe des Lehrers gut war – sie hat sich willenlos küssen lassen –
früher schon hat er ihr eine Liebeserklärung gemacht – sie geht trotz allem noch mit ihm spazieren – wollte ihm ein Weihnachtsgeschenk machen einmal hat sie geschrieben, es ist mir etwas unangenehmes passiert, aber nichts zurückgeblieben.
A. hat sie in folgender Weise ausgefragt: Wie war es? Ich will es ganz genau wissen? Hat er Dich nur geküßt? Wie oft?
Wohin? Ist er nicht auf Dir gelegen? Hat er Dich betastet?
Wollte er Deine Kleider ausziehn~
Antworten: Ich saß auf dem Kanapee mit der Handarbeit, er an der andern Seite des Tisches. Dann kam er herüber, setzte sich zu mir und küßte mich, ich rückte von ihm weg zum Kanapeepolster und wurde mit dem Kopf auf das Polster gedrückt. Außer dem Küssen geschah nichts.
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Während des Fragens sagte sie einmal: "Was denkst Du nur?
Ich bin ein Mädchen. "
Jetzt fällt mir ein, daß mein Brief an Dr. Weiß so geschrieben war, daß er vollständig F. gezeigt werden konnte. Wie, wenn er es heute ge tan und deshalb seine Antwort verschoben hätte.
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Kann nicht in der Thürheim lesen, die im übrigen mein Vergnügen der letzten Tage ausmacht. Brief an Frl. Bl. jetzt auf der Bahn aufgegeben. Wie es mich hält und gegen die Stirn drückt. Kartenspielen der Eltern auf dem gleichen
Die Eltern, und ihre erwachsenen Kinder, ein Sohn und eine Tochter saßen Sonntags mittag bei Tisch. Die Mutter war gerade aufgestanden und tauchte den Schöpflöffel in den gebauchten Suppentopf, um die Suppe auszuteilen, da hob sich plötzlich der ganze Tisch, das Tischtuch wehte, die
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