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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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vor mir in Augenhöhe an die Wand. Man sieht kleinere Tiere erst dann genau, wenn man sie vor sich in Augenhöhe hat; wenn man sich zu ihnen zur Erde beugt und sie dort ansieht, bekommt man eine falsche unvollständige Vorstellung von ihnen. Das Auffallendste an diesen Ratten waren die Krallen, groß, ein wenig gehöhlt und am Ende doch zugespitzt, sie waren sehr zum Graben geeignet.
    Im letzten Krampf, in dem die Ratte vor mir an der Wand hieng, spannte sie dann' die Krallen scheinbar gegen ihre lebendige Natur straff aus, sie waren einem Händchen ähnlich, das sich einem entgegenstreckt. Im allgemeinen belästigten mich diese Tiere wenig, nur in der Nacht weckten sie mich manchmal wenn sie im Lauf auf dem harten Boden klappernd an der Hütte vorbeieilten. Setzte ich mich dann aufrecht und zündete etwa ein Wachslichtchen an, so konnte ich irgendwo in einer Lücke unter den Bretterpfosten die von außen hereingesteckten Krallen einer Ratte fieberhaft arbeiten sehn. Es war ganz nutzlose Arbeit, denn um für sich ein genügend großes Loch zu graben, hätte sie tagelang arbeiten müssen und sie entfloh doch schon, sobald der Tag nur ein wenig sich aufhellte, trotzdem arbeitete sie, wie ein Arbeiter, der sein Ziel kennt. Und sie leistete gute Arbeit, es waren zwar unmerkliche Teilchen, die unter ihrem Graben
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    aufflogen, aber ohne Ergebnis wurde die Kralle wohl niemals angesetzt. Ich sah in der Nacht oft lange zu, bis mich die Regelmäßigkeit und Ruhe dieses Anblicks einschläferte. Dann hatte ich nicht mehr die Kraft das Wachslichtchen zu löschen und es leuchtete noch ein Weilchen der Ratte bei ihrer Arbeit.
    Einmal in einer warmen Nacht, gieng ich, als ich wieder diese Krallen arbeiten hörte, vorsichtig, ohne ein Licht anzuzünden hinaus um das Tier selbst zu sehn. Es hatte den Kopf mit der spitzen Schnauze tief gesenkt, fast zwischen die Vorderbeine eingeschoben um nur möglichst eng an das Holz
    heranzukommen und möglichst tief die Krallen unter das Holz zu schieben. Man hätte glauben können, jemand halte in der Hütte die Krallen fest und wolle das ganze Tier hineinziehn, so sehr war alles angespannt. Und doch war auch alles mit einem Tritt beendet, durch den ich das Tier totschlug. Ich durfte bei völligem Wachsein nicht dulden, daß meine Hütte, die mein einziger Besitz war, angegriffen wurde.
    Um die Hütte gegen diese Ratten zu sichern, stopfte ich alle Lücken mit Stroh und Werg zu und untersuchte jeden Morgen den Boden ringsherum. Ich beabsichtigte auch den Boden der Hütte, der bisher nur festgestampfte Erde war, mit Brettern zu belegen, was auch für den Winter nützlich sein konnte. Ein Bauer aus dem nächsten Dorf, namens Jekoz, hatte mir längst versprochen, zu diesem Zweck schöne trockene Bretter zu bringen, ich hatte ihn auch schon für dieses Versprechen öfters bewirtet, er blieb auch niemals längere Zeit aus, sondern kam alle 14 Tage, hatte auch manchmal Versendungen mit der Bahn auszuführen, aber die Bretter brachte er nicht. Er hatte verschiedene Ausreden dafür, meistens die, daß er selbst zu alt sei, um eine solche Last zu schleppen und daß sein Sohn, der die Bretter bringen würde, gerade mit Feldarbeiten beschäftigt sei.
    Nun war Jekoz nach seiner Angabe und es schien auch richtig zu sein weit über 70 Jahre alt, aber ein großer, noch sehr starker Mann. Außerdem änderte er auch seine Ausreden und sprach ein
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    anderes Mal von den Schwierigkeiten der Beschaffung so langer Bretter wie ich sie brauchte. Ich drängte nicht, ich brauchte die Bretter nicht notwendig, erst Jekoz selbst hatte mich überhaupt auf den Gedanken gebracht, den Boden zu belegen, vielleicht war ein solcher Belag gar nicht sehr vorteilhaft, kurz, ich konnte ruhig die Lügen des Alten anhören. Mein ständiger Gruß war:
    "Die Bretter, Jekoz!" Sofort begannen in einer halb gelallten Sprache die Entschuldigungen, ich hieß Inspektor oder Hauptmann, oder auch nur Telegraphist, er versprach mir nicht nur die Bretter nächstens zu bringen sondern mit Hilfe seines Sohnes und einiger nachbarn meine ganze Hütte abzutragen und ein festes Haus statt ihrer aufzubauen. Ich hörte solange zu bis es mich müde machte und ich ihn hinausschob. Aber noch in der Tür hob er, um Verzeihung zu erlangen, die angeblich so schwachen Arme, mit denen er in Wirklichkeit einen erwachsenen Mann hätte zerdrücken können. Ich wußte, warum er die Bretter nicht brachte, er dachte bis der Winter näher käme, würde ich die

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