Tagebücher 1909-1923
gegen den Zuschauer hin sondern auch von ihm weg, wurden undeutlicher und vielfacher, was das Auge an Einzelheiten verlor gewann es an Fülle. Vorn aber stand ein von den Spiegelungen unbeeinflußtes nacktes Mädchen auf ein Bein gestützt mit vortretender Hüfte. Hier war Ingres Zeichenkunst zu bewundern, nur fand ich eigentlich mit Wohlgefa llen, daß zuviel wirkliche Nacktheit auch für den Tastsinn an diesem Mädchen übriggeblieben war. Von einer durch sie verdeckten Stelle gieng ein Schimmer gelblich blassen Lichtes aus.
Sicher ist mein Widerwillen gegen Antithesen. Sie kommen zwar unerwartet, aber überraschen nicht, denn sie sind immer ganz nah vorhanden gewesen; wenn sie unbewußt waren, so waren sie es nur am äußersten Rande. Sie erzeugen zwar Gründlichkeit, Fülle, Lückenlosigkeit aber nur so wie eine Figur im Lebensrad; unsern kleinen Einfall haben wir im Kreis herumgejagt. So verschieden sie sein können, so nuancenlos sind sie, wie von Wasser aufgeschwemmt wachsen sie einem unter der Hand, mit der anfänglichen Aussicht ins Grenzenlose und mit einer endlichen mittlern immer gleichen Größe. Sie rollen sich ein,,sind nicht auszudehnen, geben keinen Anhaltspunkt, sind Löcher im Holz, sind stehender Sturmlauf, ziehn wie ich gezeigt habe Antithesen auf sich herab. Möchten sie nur alle auf sich herabziehn und für immer.
für das Drama: Englischlehrer Weiß, wie er mit geraden Schultern, die Hände stark in den Taschen, mit dem in Falten gespannten gelblichen Überrock einmal abend auf dem
-164-
Wenzelsplatz ber die Fahrbahn mit mächtigen Schritten knapp an der allerdings noch stehenden aber schon läutenden Elektrischen vorübereilt. Von uns weg.
E. Anna !
A. (aufschauend) Ja.
E. Komm her.
A. (große ruhige Schritte) Was willst Du?
E. Ich wollte Dir sagen, daß ich seit einiger Zeit mit Dir unzufrieden bin.
A. Aber!
E. Es ist so.
A. Dann mußt Du mir eben kündigen, Emil.
E. So rasch? Und Du fragst gar nicht nach der Ursache?.
A. Ich kenne sie.
E. So?
A. Das Essen schmeckt Dir nicht.
E. (steht rasch auf, laut) Weißt Du, daß Karl heute abend wegfahrt oder weißt Du es nicht?
A. (innerlich unbeirrt) Aber ja, leider fährt er weg, deshalb hast Du mich nicht herrufen müssen.
21. XI 11 Mein gewesenes Kinderfräulein, die im Gesicht schwarzgelbe, mit kantigem Nasenrand und einer mir damals so lieben Warze irgendwo auf der Wange war heute zum zweitenmal in kurzer Zeit bei uns um mich zu sehn. Das erste Mal war ich nicht zuhause, diesmal wollte ich in Ruh gelassen sein und schlafen und ließ mich verleugnen. Warum hat sie mich so schlecht erzogen, ich war doch folgsam, sie sagt es jetzt selbst im Vorzimmer zur Köchin und zum Fräule in, ich war von ruhiger Gemütsart und brav. Warum hat sie das nicht für mich ausgenützt und mir eine bessere Zukunft vorbereitet. Sie ist eine Ehefrau oder Witwe, hat Kinder, hat eine lebhafte Sprache, die
-165-
mich nicht schlafen läßt, denkt, daß ich ein großer, gesunder Herr im schönen Alter von 28 Jahren bin, gern an meine Jugend zurückdenke und überhaupt etwas mit mir anzufangen weiß.
Nun liege ich aber hier auf dem Kanapee, mit einem Fußtritt aus der Welt geworfen, passe auf den Schlaf auf der nicht kommen will und wenn er kommt mich nur streifen wird, die Gelenke habe ich wund vor Müdigkeit, mein dürrer Körper zittert sich zugrunde in Aufregungen, derer er sich nicht klar bewußt werden darf, im Kopf zuckt es zum Erstaunen. Und da stehen die 3 Frauen vor meiner Tür, eine lobt mich wie ich war, zwei wie ich bin. Die Köchin sagt, ich werde gleich, sie meint ohne jeden Umweg in den Himmel kommen. So wird es sein.
Löwy: Ein Rabbi im Talmud hatte das in diesem Falle sehr gottgefallige Princip, nichts, nicht einmal ein Glas Wasser von jemandem anzunehmen. Nun traf es sich aber, daß der größte Rabbi seiner Zeit ihn kennen lernen wollte und ihn also zum Essen einlud. Die Einladung eines solchen Mannes ablehnen, das war nicht möglich. Traurig machte sich daher der erste Rabbi auf den Weg. Aber weil sein Princip so stark war, schob sich zwischen die beiden Rabbi ein Berg.
Anna (sitzt beim Tisch, liest in der Zeitung.)
Karl (geht im Zimmer herum, sobald er zum Fenster kommt, bleibt er stehn und schaut hinaus, einmal öffne t er sogar das innere Fenster.)
Anna Bitte laß das Fenster zu, es friert doch
Karl (schließt das Fenster) Wir haben eben verschiedene Sorgen.
22 XI 11
Anna. Du hast aber eine neue Gewohnheit angenommen
Weitere Kostenlose Bücher