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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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dann nahm der Fremde einen zutraulichen Ton an und wendete sich an den Priester mit den Worten:
    »Mein Vater, ich kam, um Euch zu bitten, ein Totenamt zu halten für die Seelenruhe … eines … einer Person, deren Körper niemals in heiliger Erde ruhen wird …«
    Der Priester erbebte unwillkürlich; die beiden Nonnen verstanden noch nicht, wovon der Unbekannte sprechen wollte, und blieben mit vorgestrecktem Halse, das Gesicht auf die beiden Redenden gerichtet, in einer Haltung neugieriger Erwartung.
    Der Geistliche betrachtete forschend den Fremden. Die Angst war deutlich in seinen Mienen und seinem flehenden Blicke zu lesen.
    »Nun wohl,« antwortete der Priester, »kommen Sie heute um Mitternacht wieder und ich werde bereit sein, das einzige heilige Amt zu vollziehen, welches der Sühne eines Verbrechens förderlich sein kann …«
    Der Unbekannte zitterte, aber das Gefühl einer sanften und ernsten Befriedigung schien über einen geheimen Schmerz den Sieg davonzutragen. Nachdem er den Priester und die beiden frommen Schwestern ehrfurchtsvoll gegrüßt hatte, verschwand er mit einem stummen Dankesblick, der von den drei großmütigen Seelen verstanden wurde.
    Ungefähr zwei Stunden nach diesem Auftritt kehrte der Unbekannte zurück; nachdem er leise an die Tür der Dachstube geklopft hatte, führte ihn Fräulein von Charost herein. Sie leitete ihn in das zweite Gemach dieser bescheidenen Wohnung, wo alles für die heilige Zeremonie schon vorbereitet war.
    Zwischen die beiden Ofenröhren hatten die Nonnen die alte wurmstichige Kommode gestellt, deren altertümliche Formen von einer grünseidenen Altardecke verhüllt waren. Ein großes Kruzifix von Ebenholz und Elfenbein ließ die gelbe Mauer, woran es befestigt war, in ihrer ganzen Nacktheit erscheinen und fesselte notwendigerweise die Blicke. Vier ärmliche Kerzchen, welche die beiden Schwestern mit gelbem Wachs auf den improvisierten Altar festgeklebt hatten, verbreiteten ein fahles, von der Mauer spärlich zurückgestrahltes Licht. Dieses schwache Licht erhellte kaum den übrigen Teil des Zimmers; da es aber nur heiligen Dingen seinen Glanz lieh, so glich es einem vom Himmel auf diesen schmucklosen Altar gefallenen Strahl. Das Fenster war feucht. Das Dach, welches, wie gewöhnlich in den Dachwohnungen, sich von beiden Seiten schräg herabsenkte, zeigte einige Spalten, durch die ein eisiger Wind hereinwehte. Nichts konnte weniger prächtig, aber auch nichts feierlicher sein, als diese traurige Zeremonie. Ein tiefes Stillschweigen, wobei man das leiseste Geräusch auf der Straße hätte hören können, verbreitete eine düstere Majestät über diese nächtliche Szene; und die ganze Verhandlung stand in so strengem Gegensatz mit der Armut der Umgebung, daß das Gemüt sich von religiösem Schauer befallen fühlte.
    Zu beiden Seiten des Altars knieten die beiden Klausnerinnen auf den achteckigen Ziegelsteinen des Fußbodens; ohne sich um die schädliche Feuchtigkeit zu kümmern, beteten sie, während der mit seinem Ornate bekleidete Priester einen goldenen, mit Edelsteinen geschmückten Kelch, wahrscheinlich ein aus der Plünderung der Abtei von Chelles gerettetes heiliges Gefäß, hinstellte. Neben diesem Ziborium, dem Denkmal königlicher Pracht, standen in zwei schlechten Gläsern das Wasser und der Wein, welche zu dem heiligen Amte bestimmt waren. In Ermangelung eines Betpultes hatte der Priester sein Brevier auf eine Ecke des Altars gelegt, eine gemeinschaftliche Schüssel war zum Waschen der unschuldigen, vom Blute reinen Hände bestimmt. Alles war großartig, aber klein; ärmlich aber würdig; profan und zu gleicher Zeit heilig.
    Der Unbekannte kniete andachtsvoll zwischen den beiden Nonnen nieder. Als er aber plötzlich den Kelch und das Kruzifix mit Krepp verhüllt sah, denn da man den Zweck dieser Totenmesse nicht anders ausdrücken konnte, hatte man das Sinnbild Gottes selbst in Trauer gehüllt, da wurde er von so quälender Erinnerung ergriffen, daß Schweißtropfen von seiner breiten Stirn herabrieselten.
    Die vier schweigend handelnden Personen dieses Auftritts sahen sich geheimnisvoll an; dann tauschten ihre Seelen unwillkürlich ihre Empfindungen aus, indem sie sich zu religiösem Gefühl vereinigten.
    Es schien, als rief ihr Gedanke den Märtyrer zurück, dessen Überreste von ungelöschtem Kalke verzehrt waren; als stünde sein Schatten in voller Majestät vor ihren Augen. Sie feierten ein
Obit
, ohne den Körper des Verstorbenen. Unter diesen

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