Tagebücher der Henker von Paris
ehrwürdigen Jansenisten nicht länger grübeln zu lassen, fügte er hinzu:
»Ich würde erröten, wollte ich Euch irgendein Honorar für das Totenamt bieten, welches Ihr für die Ruhe der Seele des Königs und zur Beruhigung meines Gewissens gehalten habt. Eine unschätzbare Handlung kann man nur mit einer Spende bezahlen, die ebenfalls über jeden Preis ist. Seien Sie so gütig, mein Herr, das Geschenk anzunehmen, welches ich Ihnen in einer heiligen Reliquie mache! Vielleicht wird ein Tag kommen, wo Sie den Wert derselben begreifen.«
Bei diesen Worten bot der Fremde dem Geistlichen ein außerordentlich leichtes Schächtelchen. Der Priester nahm es gewissermaßen unwillkürlich, denn der feierliche Ton, mit welchem der Mann diese Worte sprach, und die Ehrfurcht, mit welcher er jene Schachtel hielt, hatten ihn ins höchste Erstaunen versetzt.
Sie traten darauf wieder in das Gemach, wo die beiden Nonnen sie erwarteten.
»Sie wohnen,« sagte der Unbekannte zu diesen, »in einem Hause, dessen Besitzer, der Gipser Mucius Scävola, in dem ganzen Stadtteil wegen seines Patriotismus berühmt ist; aber im Geheimen ist er ein Anhänger der Bourbons. Er war ehemals Bereiter des Prinzen von Conti und verdankt ihm sein Vermögen. Wenn Sie dieses Haus nicht verlassen, so sind Sie hier sicherer, als an irgendeinem Orte Frankreichs. Bleiben Sie hier! Fromme Seelen werden für Ihre Bedürfnisse sorgen und Sie können dann ohne Gefahr bessere Tage abwarten. – In einem Jahre, am 21. Januar … (bei den letzten Worten konnte er eine unwillkürliche Rührung nicht verbergen) wenn Sie diesen traurigen Ort als Asyl behalten, werde ich wiederkommen, um die Sühnemesse mit Ihnen zu begehen …«
Er sprach nicht weiter, sondern grüßte die schweigenden Bewohner der Dachstube, warf noch einen letzten Blick auf die Zeugen ihrer dürftigen Lage und verschwand.
Für die beiden unschuldigen Nonnen hatte diese Begebenheit alle fesselnden Eigenschaften eines Romans. Sobald der ehrwürdige Abbé sie von dem geheimnisvollen Geschenk, welches ihm jener Mann feierlich überreicht hatte, in Kenntnis setzte, stellten sie die Schachtel auf den Tisch, und die drei Gesichter, vom Lichte spärlich beleuchtet, zeigten eine unbeschreibliche Neugierde. Fräulein von Charost fand darin ein langes Taschentuch aus feinem Battist. Dasselbe trug einige Schweißflecke. Nachdem alle drei es mit Sorgfalt bei Lichte betrachtet hatten, erkannten sie einige vereinzelte schwarze Punkte, als ob das Tuch mit Kot bespritzt wäre.
»Es ist Blut!« sagte der Priester mit tiefer Stimme.
Die beiden Schwestern ließen die Reliquie entsetzt fallen.
Für diese beiden unschuldigen Seelen blieb das Geheimnis, in welches sich der Fremde hüllte, unerklärlich; der Priester gestattete sich seit diesem Tage nicht mehr, es zu erklären.
Bald wurden die drei Gefangenen inne, daß eine mächtige Hand sie sogar in der schlimmsten Schreckenszeit beschützte. Anfänglich erhielten sie Brot und Lebensmittel; dann errieten die beiden Nonnen, daß sich eine Frau mit ihrem Beschützer verbunden hatte, denn man schickte ihnen Leinenzeug und Kleidungsstücke, wodurch es ihnen gestattet wurde, auszugehen, ohne durch die aristokratische Mode der Kleider, die sie gezwungenerweise aufbewahrt hatten, erkannt zu werden. Endlich verschaffte ihnen Mucius Scävola zwei Aufenthaltskarten. Oft gelangten auf Umwegen Warnungen, welche die Sicherheit des Priesters erforderlich machte, zu ihnen, und sie erkannten in allen diesen Ratschlägen soviel Zweckmäßigkeit, daß dieselben nur von einer Person ausgehen konnten, die fortwährend mit allen Staatsgeheimnissen vertraut war.
Trotz der Hungersnot, die auf Paris lastete, fanden sie vor der Tür ihrer Dachstube Rationen Weißbrot, die ihnen regelmäßig von unsichtbaren Händen dargebracht wurden. Doch glaubten sie in Mucius Scävola den geheimnisvollen Agenten dieser so sinnreichen wie rührenden Wohltätigkeit zu sehen.
Die würdigen Bewohner der Dachstube konnten nicht länger zweifeln, daß ihr Beschützer dieselbe Person sei, welche zu ihnen gekommen war, um in der Nacht des 21. Januar 1793 die Sühnemesse zu begehen. Derselbe wurde auch für diese drei Wesen, die nur auf ihn hofften und von ihm lebten, der Gegenstand eines eigenen Kultus. Seinetwegen hatten sie ihren Gebeten noch besondere Bitten hinzugefügt. Abends und morgens beteten diese frommen Seelen für sein Glück, für seine Wohlfahrt und für sein Heil. Sie baten Gott, von ihm
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