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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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Unbeweglichkeit der Nonnen nach und ließ seinen Blick langsam in dem Zimmer umherschweifen.
    Zwei Strohmatten, die auf Brettern lagen, schienen den beiden Nonnen als Bett zu dienen. Ein einzelner Tisch stand in der Mitte des Zimmers. Darauf befand sich ein kostbarer Leuchter, einige Teller, drei Messer und ein rundes Brot. Im Kamin brannte ein sehr bescheidenes Feuer und einige in einem Winkel aufgehäufte Holzstücke zeugten von der Armut der beiden Klausnerinnen. Die mit einem sehr alten Anstrich betünchten Mauern befanden sich in demselben schlechten Zustande wie das Dach; denn Flecke, braunen Leisten ähnlich, zeigten an, daß der Regen durchgedrungen war; eine wahrscheinlich bei der Plünderung der Abtei von Chelles gerettete Reliquie lag auf dem Kaminmantel. Drei Stühle, zwei Kisten und eine schlechte Kommode vollendeten die Geräte dieses Zimmers. Eine neben dem Kamin angebrachte Tür ließ mutmaßen, daß noch ein zweites Zimmer vorhanden sei.
    Die Person, die sich unter so trüben Anzeichen mitten in diese Haushaltung eingeführt hatte, überblickte in zwei Sekunden das Inventarium dieser Zelle. Ein Zug des Mitgefühls drückte sich in seinem Antlitz aus und er warf einen Blick des Wohlwollens auf die beiden Frauen. Er schien wenigstens ebenso verwirrt wie sie, und die seltene Stille, in welcher alle verharrten, währte ungefähr eine Minute. Endlich erriet er die Schwäche und Unerfahrenheit der beiden armen Geschöpfe und versuchte eine sanfte Stimme anzunehmen, indem er sprach:
    »Ich komme hier nicht als Feind, Bürgerinnen …« hier hielt er inne und verbesserte dann: »meine Schwestern. Wenn euch ein Unglück zustieße, so glaubet mir, daß ich es nicht veranlaßt habe. Ich komme, um euch um eine Gunst zu bitten …«
    Sie schwiegen noch immer.
    »Wenn ich euch lästig fiel, wenn … ich euch störte, so saget es frei heraus! Ich werde mich zurückziehen; aber ihr könnt glauben, daß ich euch ganz ergeben bin … daß, wenn ich euch einen guten Dienst leisten kann, ihr ohne Furcht auf mich zählen möget …«
    Es lag ein aufrichtiger Ausdruck in diesen Worten. Die Schwester Agathe, diejenige von den beiden Nonnen, welche dem Hause von Béthune angehörte und deren Manieren verrieten, daß sie ehemals den Glanz der Feste gekannt und die Hofluft geatmet hatte, deutete daher auf einen Stuhl, als wollte sie ihn zum Sitzen nötigen. Als der Unbekannte diese Gebärde wahrnahm, zeigte er einen Ausdruck von trübseliger Freude, wartete aber, ehe er Platz nahm, bis die beiden ehemaligen Klosterschwestern sich gesetzt hatten.
    »Ihr habt«, fuhr er fort, »einen ehrwürdigen, unbeeidigten Priester bei euch aufgenommen, der wunderbarerweise dem Gemetzel bei den Karmelitern entronnen ist …«
    »Hosanna!« sagte die Schwester Agathe, indem sie dem Fremden ins Wort fiel und ihn erwartungsvoll anblickte,
    »So heißt er nicht, glaube ich,« antwortete er.
    »Aber, mein Herr,« sprach Schwester Martha hastig, »wir haben hier keinen Priester und …«
    »Dann wäre mehr Vorsicht und Sorgfalt nötig …« entgegnete der Fremde in sanftem Tone, indem er den Arm nach dem Tisch ausstreckte und ein Brevier in die Hand nahm. »Ich glaube nicht, daß ihr Lateinisch versteht und …«
    Er fuhr in seiner Rede nicht fort, denn die außerordentliche Aufregung, welche sich in den Zügen der beiden armen Nonnen ausdrückte, ließ ihn befürchten, daß er zu weit gegangen sei. Sie bebten und ihre Augen waren mit Tränen gefüllt.
    »Fasset Mut,« sprach der Unbekannte in freimütigem Tone, »der Name eures Gastes und auch die eurigen sind mir bekannt. Seit fünf Tagen weiß ich von eurer traurigen Lage und eurer Aufopferung für den ehrwürdigen Abbé von …«
    »Still!« rief Schwester Agathe besorgt, indem sie einen Finger auf ihre Lippen legte.
    »Ihr sehet, meine Schwestern, daß, wenn ich die schreckliche Absicht hätte, euch zu verraten, ich dieselbe schon ausgeführt haben könnte.«
    Als der Priester diese Worte vernahm, verließ er sein Gefängnis und erschien in der Mitte des Zimmers.
    »Ich kann nicht glauben, mein Herr,« sagte er zu dem Unbekannten, »daß Sie einer von unsern Verfolgern sind, und ich will Ihnen vertrauen … Was wollen Sie von mir?«
    Das heilige Vertrauen des Priesters, der Edelmut, der in allen seinen Zügen lag, hätte sogar die Mörder entwaffnet. Die geheimnisvolle Person, welche diesen Auftritt der Angst und Hingebung hervorgerufen hatte, betrachtete einen Augenblick diese drei Wesen;

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