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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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ausübt, kann den Delinquenten veranlassen, einem Beichtvater wichtige Dinge zu vertrauen, wovon jener in der Folge Mißbrauch macht.
    Ein anderer Vorwurf, den man dieser Todesstrafe machen kann, besteht darin, daß man den Verurteilten zwar den Schmerz, aber dem Zuschauer nicht den Anblick des Blutes erspart; man sieht dasselbe von der Schneide der Guillotine herabfließen und das Pflaster an der Stelle, wo sich das Schafott befindet, benetzen; ein so widriges Schauspiel sollte den Augen des Volkes nicht geboten werden, und man könnte leicht diesem Übelstand abhelfen, der übrigens von größerer Bedeutung ist als man glaubt, da er das Volk mit dem Gedanken des Mordes bekannt macht, und wenngleich solcher Mord im Namen des Gesetzes ausgeübt wird, so wird durch seine Wiederholung doch jede Teilnahme zu einer bloßen kaltblütigen Neugierde abgestumpft.
    Hört man nicht bereits die Menge sagen, daß diese Todesstrafe für die Verbrecher, die man bis jetzt hingerichtet hat, viel zu sanft sei, und in der Tat haben mehrere derselben das Ansehen gehabt, als trotzten sie dem Tode; das Volk wird so entsittlicht, daß es auf Rache sinnt, anstatt sich mit der Gerechtigkeit zu begnügen!«
    Der letztere Satz ist wahrscheinlich der einzige, welcher die wahren Empfindungen des Verfassers dieses Artikels ausspricht; ich kann nicht glauben, daß der Bürger Loustalot, der ihn schrieb, wirklich den Wunsch gehegt habe, daß man den Sterbenden den letzten Trost raube; aber es war zu jener Zeit bereits weise, seine Gedanken wie seinen Kopf unter eine rote Mütze zu bringen und seine Worte in die Falten einer Karmagnole zu hüllen.
    Am 9. begab sich mein Großvater auf Fouquier-Tinvilles Befehl in die Conciergerie. Das Tribunal hielt Gericht über François Jacques de Reviers, ehemaligen Grafen von Mauny, Exmajor der Schweizergarden des Grafen von Artois, der Emigration beschuldigt, und Louis Alexandre de Beaulieu, der ihn bei sich aufgenommen hatte.
    In dem Augenblick, als mein Ahne durch die Gittertür schritt, stieß ihn ein junger Mensch an, der mit besonderer Hast an ihm vorüberlief. Da rief ihn jemand bei Namen und er bemerkte zu gleich er Zeit, daß der junge Mann, als er diesen Namen hörte, plötzlich stehen blieb und sich umwendete. In diesem Augenblick überzeugte sich auch Charles Henri Sanson, daß jener eilfertige Jüngling, wie er gleich beim ersten Anblick vermutet hatte, eine Frau in Mannskleidern sei. Eine solche Verkleidung war jedoch in jener Zeit so häufig, daß er darüber nicht weiter erstaunte; er ergriff daher den Arm der Person, die ihn angerufen hatte, und beide wanderten plaudernd auf dem Hofe des Palais auf und nieder.
    Als diese Person ihn verlassen hatte und er die Hand auf die Klinke der schweren Gefängnistür legte, fühlte er sich leicht an der Jacke gezogen und bemerkte an seiner Seite den jungen Mann, dessen weibliche Miene ihn einen Augenblick interessiert hatte. Es war in der Tat eine Frau, die vielleicht dreißig Jahre alt sein konnte; ihre Züge waren so regelmäßig, ihre ganze Erscheinung so vollkommen, obgleich ihr Gesicht außerordentlich blaß war, daß man unwillkürlich von ihrer Schönheit betroffen wurde. In ihren aufgeregten Gesichtszügen spiegelte sich zu gleicher Zeit Verzweiflung und Zorn; ihre blassen Lippen zitterten krampfhaft und ihre Augen funkelten in fieberhaftem Glanze; sie zog Charles Henri Sanson in die Mitte des Hofes und fragte ihn ohne weitere Einleitung mit zitternder, halb erstickter Stimme:
    »Willst du fünfzig Louisdors gewinnen, indem du einen Verurteilten rettest?«
    Mein Großvater erbebte und warf unwillkürlich einen Blick um sich. Als er zu seiner Befriedigung bemerkte, daß sie allein waren, sagte er:
    »Ich würde ihn umsonst retten, wenn Sie mir sagen wollen, wie ich es anfangen soll.«
    »Kannst du nicht auf einen Tag, auf einige Stunden verschwinden?«
    »Das ist ein schlechtes Mittel; sind nicht meine Gehilfen da? Wir sind nicht mehr in der Zeit, wo man mit dem Schwert oder dem Beile hinrichtete. Der Scharfrichter ist heut nur noch ein Räderwerk an einer Maschine; wenn er fehlt, vertritt der erste beste seine Stelle. Was Sie wünschen, ist unmöglich, und ich kann Ihnen nur den Rat geben, auf Ihren Plan zu verzichten.«
    »Ich verzichte nicht darauf!« rief die Unbekannte im Tone höchsten Unwillens.
    »Eine Größere als Sie hat Verzicht leisten müssen.«
    Die junge Frau verstand die Anspielung und ließ den Kopf sinken. Als sie wieder

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