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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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aufblickte, war in ihren Mienen eine vollständige Umwandlung zu lesen; ihre trockenen und brennenden Augen waren feucht, Tränen rieselten an ihren Wangen herab und unter Seufzern, die ihre Brust zu ersticken drohten, murmelte sie:
    »Der Elende! der Elende!«
    Charles Henri Sanson fragte sie, wen sie damit meine.
    »Ich meine einen Schändlichen, dem ich ein teures Haupt mit Gold abgekauft habe, der gestern noch schwur, ihn zu retten und der soeben von den Richtern seinen Tod verlangte; ich meine Fouquier-Tinville.«
    Diesen Namen sprach sie mit lauter Stimme; mein Großvater winkte ihr zu, leise zu reden und führte sie unter eine der Wölbungen, indem er sagte:
    »Wie konnten Sie seinen Versprechungen Glauben schenken? Wie konnten Sie glauben, daß er diesen Kaufvertrag halten würde? Ich sagte Ihnen eben, ich sei nur ein elendes Räderwerk der Guillotine, ein Räderwerk, welches tötet; Fouquier spielt eine nicht weniger erbärmliche Rolle an einer anderen Maschine; wir gehorchen beide einem Willen, der aller menschlichen Macht überlegen ist. Einen Augenblick Stillstand und wir würden zerbrochen sein, ohne auch nur den Trost zu haben, daß wir ein Opfer gerettet hätten. Sollte es nicht die Hand Gottes sein, die uns treibt, Madame« – fuhr mein Großvater, wie mit sich selber redend, fort – »Gottes, der schon sooft an den Kindern die Sünden und Fehler ihrer Väter heimgesucht hat?«
    Die junge Frau ließ ihren Tränen freien Lauf.
    »Mein Gott! Was bleibt mir zu tun übrig?« stammelte sie.
    »Nichts, als sterben lernen, indem wir unsere Geliebten sterben sehen, Madame!«
    »Könnte ich nicht wenigstens seinem Leichnam die letzte Pflicht erweisen, mein Herr? Könnte ich nicht noch einmal über seiner Leiche weinen? Oh, seien Sie nicht unerbittlich; er heißt …«
    »Ich will seinen Namen nicht wissen, Madame; der Leichnam eines Verbrechers gehört der Republik und die Republik ist eine eifersüchtige Haushälterin, die nicht duldet, daß man ihr Eigentum antastet. – Aber dort kommt einer meiner Gehilfen, der mit mir sprechen will; ich lasse Sie mit ihm allein, vielleicht willigt er ein, Ihnen in der Aufgabe, die Ihnen die Liebe auferlegt, behilflich zu sein; was mich betrifft, so kann ich Ihnen nur versprechen, daß ich die Augen dabei zudrücken will.«
    Mein Großvater verließ darauf die junge Frau und begab sich in die Conciergerie, wo man ihm Reviers-Mauny und Beaulieu überlieferte, welche beide zum Tode verurteilt worden waren. Das Herannahmen der letzten Stunde hatte ihre Gesichtszüge nicht verändert; auf dem Karren nebeneinander sitzend, unterhielten sie sich vertraulich, ohne ihren Mut durch das Geschrei der Menge auch nur einen Augenblick erschüttern zu lassen. Als das Gefährt auf dem Revolutionsplatze still hielt, bemerkte Charles Henri Sanson in dem Augenblick, wo er die Verurteilten absteigen ließ, daß Reviers-Mauny noch auf dem Wagen stehen blieb und erbleichte. Er folgte mit den Augen den Blicken des Verurteilten und erkannte in der Menge die junge Frau, mit welcher er einige Stunden vorher in dem Hofe des Palais gesprochen hatte. Er erschrak über die möglichen Folgen, welche eine solche Unvorsichtigkeit für die unglückliche Frau haben konnte, und rief seinen Gehilfen; dies war ein Mann, dem das Schicksal in einer jener seltsamen Launen, die ihm eigen sind, den Namen eines der mächtigsten Minister der Monarchie gegeben hatte: er hieß Louvois.
    »Louvois,« sagte mein Großvater zu ihm, »Du hast fünfzig Louisdors von einer als Mann verkleideten Frau erhalten, damit du den Leichnam eines dieser beiden Verurteilten beiseite schaffen möchtest; wir müssen zeigen, daß wir ehrlicher sind als der Bürger Ankläger, der, wie es scheint, heute Morgen sein Geld gestohlen hat; du mußt deine fünfzig Louisdors ehrlich verdienen. Sie steht dort auf der rechten Seite der Guillotine in der fünften oder sechsten Reihe, habe acht auf sie!«
    Louvois zwinkerte mit den Augen und Charles Henri Sanson traf die Vorkehrungen zur Hinrichtung.
    Beaulieu starb zuerst. In dem Augenblick, als das schon blutige Messer zum zweiten Male niederfiel, ließ sich ein Schrei hören, der einen tiefen Schmerz und zu gleicher Zeit eine Verwünschung ausdrückte und aus der dem Schafott am nächsten stehenden Gruppe hervordrang.
    Wie Charles Henri Sanson vorausgesehen hatte, war es der armen Frau nicht möglich gewesen, ihren Schmerz zu beherrschen; sie war es, welche jenen Schrei ausgestoßen hatte.

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