Tagebücher der Henker von Paris
bei sich trug, mit den Worten: »Das ist eine gefährliche Waffe; man fürchtet, daß wir Hand an uns selber legen.« Die Ironie, eines Sokrates würdig, mit welcher er diese Worte aussprach, machte einen Eindruck auf mich, den ich mir damals nicht erklären konnte; als ich aber hörte, daß dieser moderne Cato sich mit einem unter seinem Mantel verborgenen Dolche getroffen habe, erstaunte ich nicht mehr und glaubte ihn erraten zu haben: er hatte diesen Dolch den Nachsuchungen entzogen, denn man durchsuchte sie wie gemeine Verbrecher, ehe sie hineingingen. Vergniaud warf das Gift, welches er aufbewahrt hatte, weg, und zog es vor, mit seinen Amtsbrüdern zu sterben.
Die beiden Brüder Fonfrêde und Ducos sonderten sich von diesem ernsten Gemälde, indem sie ein noch zarteres und lebhafteres Interesse einflößten. Ihre Jugend, ihre Freundschaft, die Heiterkeit Ducos', welche bis zum letzten Augenblick unerschüttert blieb, die Anmut seines Geistes und seines Gesichts: dies alles machte den Ingrimm ihrer Feinde noch gehässiger. Ducos hatte sich für seinen Bruder geopfert und sich in das Gefängnis begeben, um sein Los zu teilen. Oft umarmten sie sich und schöpften in dieser Umarmung neue Kraft. Sie verließen alles, was das Leben teuer machen kann: ein ungeheures Vermögen und geliebte Gattinnen, und dennoch warfen sie keinen Blick rückwärts, sondern hielten ihr Auge fest auf das Vaterland und die Freiheit gerichtet.
Nur ein einziges Mal nahm mich Fonfrêde, ungesehen von seinem Bruder, beiseite und ließ einen Strom von Tränen fließen, indem er Namen nannte, bei welchen die festesten Herzen brechen: die Namen seiner Frau und seiner Kinder. Sein Bruder bemerkt es und fragt ihn: »Was fehlt dir denn?« Fonfrêde schämt sich seiner Tränen und hält sie zurück, indem er antwortet: »Es ist nichts; Riouffe wollte nur mit mir sprechen.« So warf er das, was er für eine Schwäche hielt, auf mich zurück. Sie umarmten sich und fanden ihre Kraft wieder. Fonfrêde trocknete seine Tränen; sein Bruder hielt die seinigen zurück und beide wurden wieder wahrhafte Römer.
Sie wurden in der Nacht des 30. September zum Tode verurteilt. Das Signal, welches sie uns versprochen hatten, kam uns zu. Es waren patriotische Gesänge, welche einstimmig erschollen, und aller Stimmen mischten sich zu den letzten Hymnen an die Freiheit. Sie parodierten den Gesang der Marseillaise auf folgende Weise:
Plutôt la mort que l'esclave!
C'est la dévise des Français.
(Den Tod der Knechtschaft vorzuziehn,
Sind Frankreichs Söhne stets bereit.)
Diese ganze schreckliche Nacht erschollen ihre Gesänge, und wenn sie pausierten, so geschah es nur, um sich über das Vaterland zu unterhalten, zuweilen auch, um einen witzigen Einfall von Ducos zu hören. Es war das erstemal, daß man so viele außerordentliche Männer niedermetzelte. Jugend, Schönheit, Tugenden, Talente, Geist, alles, was es Anziehendes unter Menschen gibt, wurde von einem einzigen Streiche gefällt.
Seit dem 8. Brumaire hatte Fouquier den Scharfrichter amtlich benachrichtigt, daß er sich mit Ersatzgehilfen zu versehen habe.
An dem folgenden Tage, dem 10. Brumaire nahm mein Großvater am frühen Morgen sein Personal in Augenschein. Es sollte für diesen Tag aus zehn Gehilfen und fünf Kärrnern mit fünf Fuhrwerken bestehen. Der neuangekommene André Dutruy war anwesend; Charles Henri Sanson glaubte zu bemerken, daß er unter seiner Carmagnole eine Art roter Weste trug, achtete aber nicht weiter darauf. Um acht Uhr ging er mit meinem Großvater und sechs Gehilfen nach der Conciergerie, zwei andere sollten auf dem Revolutionsplatze warten, zwei blieben zurück, um die Gefährte zu leiten. André Dutruy, Héberts Schützling, gehörte zu den letzteren. Die Conciergerie war bereits von einer großen Zahl Truppen umgeben. Zwei Gerichtsdiener des Tribunals, die Bürger Nappier und Monet, waren dem Scharfrichter vorausgegangen und erwarteten ihn im Zimmer des Schließers. Sie gingen zusammen nach dem Palais hinauf, wo sie die letzten Befehle empfingen. Um halb zehn Uhr kamen sie wieder herunter.
Es war bestimmt, daß die Vorbereitungen zur Hinrichtung in dem Vorzimmer der Kanzlei oder dem freien Sprechzimmer stattfinden sollten, einem großen schwarzen und räucherigen Zimmer, welches man bereits anfing, das Totenzimmer zu nennen, seitdem es zum Vorzimmer des Schafotts diente.
Als mein Großvater mit seinen Leuten und den Gendarmen dort eintrat, waren die Verurteilten schon
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