Tagebücher der Henker von Paris
Die Anklageakte war fast ausschließlich auf ihre Verbindung mit den Girondisten begründet. Madame Roland war in ihr Schicksal ergeben, konnte aber nicht ohne zu schaudern die Namen ihrer Freunde beschimpfen hören und versuchte dieselben zu verteidigen.
»In welcher Zeit und unter welchem Volke leben wir,« rief sie, »wenn die Gefühle der Achtung und der Treue, welche Freunde gegenseitig empfinden, ihnen als Verbrechen angerechnet werden? Es steht mir nicht zu, über die Männer, die ihr geächtet habt, zu urteilen; aber ich habe niemals geglaubt, daß jene, welche ihrem Vaterlands so viele Proben von Patriotismus, Lauterkeit und großmütiger Aufopferung gaben, schlechte Absichten hegen konnten. Wenn sie in Irrtum verfielen, so war dieser Irrtum tugendhaft; sie haben sich getäuscht, ohne entehrt zu sein; in meinen Augen sind sie unglücklich, aber nicht schuldig! Wenn es ein Verbrechen ist, Wünsche für ihre Erhaltung gehegt zu haben, so erkläre ich mich der Welt gegenüber für schuldig, und mit Vergnügen nehme ich an der Ehre Anteil, von ihren Feinden verfolgt zu werden. Ich habe diese Männer, diese großmütigen Männer gekannt, die man der Verschwörung gegen ihr Vaterland anklagt: sie waren entschiedene, aber menschlich gesinnte Republikaner; sie glaubten, diejenigen, welche kein Vertrauen zu der Republik hätten, könnten allein durch gute Gesetze dahin gebracht werden, sie zu lieben; dies war eine schwerere Aufgabe, als sie niederzumetzeln!«
Dumas, der Vorsitzende, ließ sie nicht weitersprechen, indem er sie mit einer Erklärung unterbrach, er könne unmöglich dulden, daß sie den Verrätern, welche das Gesetz mit Recht getroffen, eine Lobrede halte.
Madame Roland wendete sich darauf an das Publikum, welches den Saal füllte, und rief dasselbe zum Zeugen auf, daß man ihr Gewalt antue. Diese heftige Appellation wurde jedoch nur mit beleidigenden Ausrufungen beantwortet und von diesem Augenblicke an bewahrte sie ein verachtendes Stillschweigen.
Als sie zum Tode verurteilt wurde, hörte sie das Urteil mit bewundernswerter Heiterkeit an und wendete sich dann an das Tribunal mit einer sanften und klangvollen Stimme, welche Riouffe mit dem Klange eines musikalischen Instrumentes verglich:
»Ihr haltet mich für würdig, das Los der großen Männer zu teilen, die ihr ermordet habt; ich werde danach streben, mit demselben Mute, den sie gezeigt haben, auf dem Schafott zu erscheinen.«
Nach ihrer Verurteilung – so erzählen die Memoiren eines Verhafteten – kehrte sie mit einer Schnelligkeit, welche fast an Freude grenzte, in den Kerker zurück und meldete uns durch eine Gebärde, daß man sie zum Tode verurteilt habe.
Wie der Herzog von Orléans wurde Madame Roland noch an demselben Tage hingerichtet; an demselben Tage wurde auch Simon François Lamarche, früherer Direktor der Assignatenfabrikation, hingerichtet, der nach ihr vor dem Revolutionstribunal erschienen war.
Madame Roland hatte schönes schwarzes Haar und es schien sie zu betrüben, daß sie einen Teil davon abschneiden lassen sollte, denn sie bat inständigst, es behalten zu dürfen. Mein Großvater schwankte und versuchte ihr mit allen möglichen Umschreibungen verständlich zu machen, wie er sie den schrecklichsten Qualen aussetzen würde, sobald er ihrem Wunsche nachkäme; sie schien gerührt von seiner Fürsorge, sie nicht durch eine genaue Schilderung der Hinrichtung zu erschrecken, und sprach lächelnd, einen berühmten Ausspruch Molières parodierend: »Wohin hat Menschlichkeit sich denn geflüchtet?«
Ein wenig später, als die Schere in ihr dichtes Haar einschnitt, griff sie mit den Händen schnell nach dem Kopfe und rief:
»Laßt mir wenigstens soviel, daß ich meinen Kopf dem Volke zeigen kann, wenn es denselben sehen will!«
Nachdem sie gefesselt war, hatte sie einige Minuten der Niedergeschlagenheit oder vielmehr der Sammlung; ihr Haupt war auf die Brust geneigt und ihre Augen feucht. Ohne Zweifel dachte sie an ihre Tochter und an Roland, von dem sie wußte, daß er entschlossen sei, sie nicht zu überleben; vielleicht aber erinnerte sie sich der Worte, die sie in ihrer Verteidigung geschrieben hatte:
»Wenn die Unschuld zum Tode geht, zu dem der Irrtum und die Niederträchtigkeit sie verurteilen, so gelangt sie zum Triumphe!«
Sie erhob das Haupt wieder und von diesem Augenblicke an verleugnete sich ihre Stärke nicht mehr.
Der, welcher gleichzeitig mit ihr sterben sollte, hatte bei weitem nicht diesen Mut. Das
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