Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
Vom Netzwerk:
letzte Werk der Madame Roland war ein Werk der Selbstverleugnung und christlichen Liebe. Sie weihte die Stunde, die ihr zum Leben übrig blieb, dem Unbekannten, den sie an ihrer Seite niedergebeugt sah; sie vergaß sich selber so weit, daß sie nur daran dachte, ihm die schreckliche Prüfung, der sie selber unterworfen war, zu erleichtern. Auf dem ganzen Wege hörte sie nicht auf, ihn zu trösten und zu stärken. Sie stellte eine Heiterkeit zur Schau, welche eine Mutter und Gattin unmöglich im Herzen empfinden konnte und die nur den Zweck hatte, Lamarche von seiner Todesfurcht zu befreien. Weder die Königin, noch Charlotte Corday, noch die Girondisten waren in gleichem Maße wie Madame Roland der Gegenstand der Wut des sogenannten Volkes gewesen. Sie hörte diese Schmähungen mit verächtlichem Lächeln; zuweilen antwortete sie mit Scherzen, welche den Schrecken und die Furcht ihres Gefährten auf einige Augenblicke verscheuchten.
    Auf dem Revolutionsplatze, als Lamarche den Fuß zur Erde setzte, konnte er die düstere Ergebung, in welche ihn Madame Rolands Trost versetzt hatte, doch nicht bewahren; sein Gesicht war fahl geworden, alle seine Glieder zitterten in krampfhaftem Schauer; ein Scharfrichtergehilfe mußte ihn unterstützen. Madame Roland betrachtete ihn mit dem Ausdruck tiefen und aufrichtigen Mitleidens und sprach:
    »Ich will Ihnen den Schmerz ersparen, mein Blut fließen zu sehen, gehen Sie zuerst, mein armer Herr!«
    Seit dem Tode der Girondisten bestimmte der öffentliche Ankläger, in welcher Ordnung die Verurteilten hingerichtet werden sollten. Madame Roland hatte kraft ihres Geschlechts das Vorrecht erlangt, zuerst an die Reihe zu kommen, um nicht der Hinrichtung ihres Gefährten zuzusehen und den dumpfen Fall des Messers zu hören. Als sie meinem Großvater meldete, daß sie Lamarche die klägliche Gunst, zuerst hingerichtet zu werden, abtrete, antwortete er ihr, es wäre dies unmöglich, da er entgegenstehende Befehle habe.
    »Nein, nein,« erwiderte Madame Roland, immer lächelnd »ich bin überzeugt, man hat Euch nicht befohlen, einer Frau die letzte Bitte abzuschlagen.«
    In der Tat hatte Charles Henri nicht den Mut, sich dem Antriebe dieser edlen Seele zu widersetzen. Man trug Lamarche schon halbtot auf das Schafott; Madame Roland sah seinen Kopf fallen, ohne zu schaudern, und ging dann selber auf die Plattform. Bei Gelegenheit des Festes vom 10. August hatte man im Mittelpunkte des Revolutionsplatzes eine kolossale Statue der Freiheit errichtet, die nach der Zeremonie nicht wieder fortgenommen worden war und sich dem Schafott gegenüber befand. Madame Roland richtete das Auge auf diese Statue; man sah ein bitteres Lächeln ihre Lippen umschweben und sie sagte mit lauter und fester Stimme:
    »O Freiheit, wie hat man dir mitgespielt!«
    Die Scharfrichtergehilfen stießen sie unter das schreckliche Fallbeil; sie leistete ihnen Widerstand, um sich zuvor vor dem Sinnbilde, welches ihr Abgott gewesen war, zu verneigen. Eine Minute später hatte sie aufgehört zu leben.
Bailly
    Die berühmten Opfer folgten ohne Aufhören nach einander; der 21. Brumaire kennzeichnete sich noch durch den Tod eines der Gründer der Freiheit, Bailly.
    Die Hinrichtung des letzteren ist mit so gehässigen Umständen verbunden, daß die meisten Geschichtschreiber der Revolution sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten, diejenige Partei zu beschimpfen, welche solche Verletzungen des menschlichen Gefühls anbefahl oder duldete; sie haben Baillys Tod in allen Einzelheiten erzählt; notwendigerweise ließen sie sich aber von der Lebhaftigkeit ihrer Eindrücke bewegen, ein schon schreckliches Gemälde noch zu überladen. Anderseits haben die demokratischen Schriftsteller sich nicht mit einer genauen Darstellung der Tatsachen begnügt; ohne zu entschuldigen, was sich nicht entschuldigen läßt, versuchten sie doch, die Kommune, welche man stark im Verdacht hatte, zu solchen Akten wilder Grausamkeit ermutigt zu haben, die man sogar vollständig überwiesen hat, daß sie dieselben mit barbarischer Gleichgültigkeit gestattete, von der Verantwortlichkeit freizusprechen. Daraus ergibt sich, daß jene, dem Andenken der Jakobiner treu ergeben, sich nicht weniger parteiisch zeigten, als es ihre Gegner in ihrem Hasse waren, und daß die wahrhafte Erzählung von der Hinrichtung Baillys noch übrigbleibt. Dies will ich unternehmen mit Hilfe der ziemlich umständlichen Notizen, welche mein Großvater hinterließ, und der

Weitere Kostenlose Bücher