Tagebücher der Henker von Paris
geschah es, weil Herr von Blignac, ohne es zu ahnen, für mich eine alte Bekanntschaft ist, gegen die ich eine kleine Rache auszuüben hatte. Sie aber haben das Eisen, das mein Wams bedrohte, abgewandt; nochmals, geben Sie zu, daß ich mich entferne.«
»Nein, nein; ich berufe mich im Gegenteil auf den Ihnen geleisteten Dienst, um Sie anzuhalten, sich zu erklären.«
»So sei es, ich werde sprechen, übrigens, wenn ich auf der Stirn eines Menschen die geheimnisvollen Zeichen des kabbalistischen Astrolabiums lesen kann, so bin ich doch nicht anmaßend genug, um vorauszusetzen, daß meine Wissenschaft unfehlbar sei. Wenn ich an die menschliche Vorherbestimmung glaube, so bin ich auch Christ und glaube, daß der Wille und die Barmherzigkeit des Allerhöchsten diese Prädestination bekämpfen und besiegen können. Ich werde sprechen.«
Der Offizier versuchte zu lächeln.
»Was Sie mir zu sagen haben, muß sehr erschreckend sein, nach der Vorsicht zu urteilen, die Sie anwenden. Wird mich also dieses Unglück, das Sie in meinem Horoskop entdeckt haben, bis zu meiner letzten Stunde verfolgen?«
»Es wird Sie bis über das Grab hinaus verfolgen, es wird sich auf Ihr ganzes Geschlecht erstrecken.«
»Und während meines Lebens?«
Der Fremde zögerte; er war ebenso bleich geworden wie alle, welche ihn umgaben, und seine Pupillen, die von einem konvulsivischen Zittern bewegt wurden, hoben und senkten sich in dem Weißen seiner Augen.
»Sie lieben diesen jungen Mann?« fragte er plötzlich.
»Er ist mein Cousin, mein Freund, mein Bruder!« rief Charles.
»Gut, dieser junge Mann ist bestimmt, von Ihrer Hand zu sterben.«
Der Offizier blieb einige Sekunden stumm und rollte wild die Augen umher, als habe er nicht verstanden; dann schlang er seinen Arm um den Hals Bertauts und sagte, ihn mit unwiderstehlicher Gewalt an sein Herz ziehend, mit einer von Seufzern halb erstickten Stimme:
»Paul, mein Paul, mein einziger Freund – ich dein Mörder werden!«
»Man kann töten, ohne ein Mörder zu sein, mein Herr«, erwiderte der Fremde mit fast roher Heftigkeit.
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Der Henker ist kein Mörder, mein Herr – wissen Sie das nicht?«
Der Offizier sank vernichtet auf einen Stuhl, und während Paul Bertaut sich bemühte, ihn wieder zu sich zu bringen, während der Chevalier von Blignac, nachdem er statt des Pfropfens die Kartenspiele in die Hand genommen hatte, sie, diese alten Gegenstände seiner Verehrung, einzeln zerriß und nacheinander ins Feuer warf, verließ der Fremde den Saal, und man hörte seinen schweren Schritt, unter dem die Treppe zur oberen Etage knarrte.
Das verwünschte Gehöft
Die Prophezeiung, die meinem Ahnen das ihn erwartende Schicksal ankündigte, übte einen mächtigen Einfluß auf seinen Geist.
Wenn er den Worten des Unbekannten auch nicht unbedingten Glauben beimaß, so konnte er es doch nicht verhindern, daß diese Worte fortwährend in seinen Ohren tönten; wenn es ihm am Tage gelang, sich von der Erinnerung an sie frei zu machen, gewannen sie in der Nacht ihre Herrschaft wieder, beunruhigten seinen Schlaf durch häßliche Träume, und allmählich nahm unter dem Zwange dieser fortwährenden Beunruhigung die Überzeugung, daß er seinem Lose nicht entgehen könne, ganz von seinem Geiste Besitz.
Aus seiner Melancholie wurde ein wilder Menschenhaß.
Bisher war er mitten unter den Vergnügungen und Freuden seiner Kameraden nur gleichgültig erschienen, nach der Szene im »Klaren Anker« aber wurde ihm selbst die Gesellschaft dieser Kameraden verhaßt, und er floh schon vor ihren Stimmen. Wenn seine Dienstpflichten ihn während einiger Stunden mit ihnen zusammenführten, so richtete er kaum einige Worte an sie, und sobald er wieder frei war, beeilte er sich, in seine Einsamkeit zurückzukehren.
Paul Bertaut war ebenso feurig als jung. Die Zurückgezogenheit, in der Charles von Longval lebte, überließ seinen Cousin dem Chevalier von Blignac auf Gnade und Ungnade; da letzterer niemand fand, der seinen Lehrergelüsten entgegengetreten wäre, so hatte er sich zum Mentor des jungen Kreolen aufgeworfen, und ihm durch sein Beispiel vorangehend, führte er ihn auf einen Weg, der gewiß selbst die tugendhaften Anlagen des Sohnes des Ulysses verwildert haben würde.
Später, im zweiten Teile der Geschichte Sansons, werde ich erzählen, welche traurigen Folgen diese Verbindung für den Cousin meines Ahnen hatte.
Wenn der Rausch der Vergnügungen zurzeit auch noch nicht die
Weitere Kostenlose Bücher