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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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ihren Kopf verlangt haben, weil sie bei Gelegenheit einer Schwelgerei erfahren habe, er strebe nach dem Königtum; die junge Saint Amaranthe würde auf die Guillotine geschickt, weil sie die Anträge Saint Justs zurückgewiesen hätte.
    Dies alles wird in der Conciergerie und in der Umgebung des Schafotts erzählt; es ist eben weiter nichts als ein Ränkespiel des Komitees, aber dennoch von der größten Wirkung.
    Die Bürgerin Saint Amaranthe, die Mutter, hielt in Nr. 50 des Palais Egalité ein Spielhaus, wohin einige angesehene Personen und viele Ränkeschmiede kamen: Danton, Hérault de Séchelles, Lacroix, der jüngere Robespierre, Desfieux, Proly und jener berühmte Baron von Batz, dessen die Polizei nicht habhaft werden konnte. Ihre junge und hübsche Tochter, die nicht wenig dazu beitrug, dem Spielhause Kunden zu verschaffen, war mit Sartine, einem Neffen des ehemaligen Polizeileutnants, verheiratet. Dem Gesetz über die Verdächtigen gemäß hat man nicht nur die ganze Familie, sondern alles, was selbst mittelbar damit in Verbindung stand, verhaftet: Maria Grandmaison, eine ehemalige Schauspielerin vom italienischen Theater und Sartines Mätresse, und Marie Nicole Bouchard, die Magd der Maria Grandmaison, letztere war achtzehn Jahre alt, schien aber nicht älter als vierzehn. Sie war so fein und zart gebaut, daß ein Tiger mit ihr Mitleid gefühlt hätte. Als sie in das Vorzimmer der Kanzlei hinunterkam und ihre kleinen Händchen Larivière zum Binden hinhielt, wendete sich dieser an Desmorets, meinen ersten Gehilfen, mit den Worten:
    »Nicht wahr, das ist zum Lachen?«
    Desmorets zuckte die Achseln, und die Kleine lächelte unter Tränen. Darauf warf Larivière die Stricke fort und rief:
    »Suche einen anderen, der dich fesselt! es gehört nicht zu meinem Handwerk, Kinder zu spänen!« Sie war ruhig, gefaßt, beinahe heiter. Der Aufbruch wurde verzögert; man hatte nur für Ladmiral, Saintenax und die vier Rénault rote Hemden besorgt, als die Anordnung vom Komitee eintraf, daß alle vierundfünfzig ohne Ausnahme damit bekleidet werden sollten. Während man dieselben holte, setzte sich die Nicole Bouchard zu den Füßen der Grandmaison, die sehr niedergeschlagen war, und bemühte sich, sie zu trösten. Sie bat um die Erlaubnis, sich neben sie in den Karren setzen zu dürfen, was man ihr auch nicht verweigerte. Ich glaube, wenn sie um das Leben gebeten hätte, würde niemand gezaudert haben, ihre Fesseln zu zerschneiden und ihre Stelle einzunehmen. Was wir fühlten, empfand seinerseits auch das Volk. Der Zudrang war beträchtlich und stand im Verhältnis zu dem Aufsehen, welches man mit dieser Hinrichtung machte. Die ungeheure Anzahl von Gendarmen und Geschützen, welche uns folgten, hatte die Pariser aus den Häusern gelockt. In den ersten Karren saßen fünf oder sechs Frauen, alle jung und hübsch, und ihr Anblick stimmte wie gewöhnlich zum Mitleid; als aber Nicole Bouchard erschien, erreichte der Unwille den höchsten Grad. Von allen Seiten vernahm man Murren, und an mehr als zehn Stellen rief man:
    »Keine Kinder!«
    In der Vorstadt Antoine sah man, wie die an den Fenstern stehenden Frauen die Hände falteten, lebhaft miteinander sprachen und mit den Fingern auf sie zeigten; viele weinten. Ich wagte es während des ganzen Weges und auf dem Platze des umgestürzten Thrones nicht ein einziges Mal, den Kopf nach ihr umzuwenden. In der Conciergerie hatte ich sie angeblickt, und ihre großen schwarzen Augen schienen mich damals zu fragen:
    »Nicht wahr, du wirst mich nicht sterben lassen?«
    Und doch ist sie gestorben. Sie war die neunte, welche hinaufstieg. Als sie, von dem Gehilfen geführt, an mir vorüberkam, fühlte ich mich unwillkürlich zu ihr hingezogen und rang mit schwachen Kräften gegen eine innere Stimme, die mir zurief:
    »Zertrümmere lieber die Guillotine, als daß du dieses Kind umbringen lassest!«
    Die Gehilfen stießen sie fort, und ich hörte, wie sie mit leiser Flötenstimme fragte:
    »Bürger, bin ich so recht?«
    Ich wendete mich schnell um, meine Augen waren mit einer Wolke verschleiert, und ich fühlte meine Knie beben. Martin leitete die Hinrichtung und sagte zu mir:
    »Du bist krank, geh nach Hause! Ich werde allein bleiben.«
    Ich stieg schweigend vom Schafott und ging fort, ohne mich umzusehen. Meine Gemütskrankheit verließ mich den ganzen Tag nicht. An der Ecke der Straße Saintonge kam eine Bettlerin auf mich zu und bat mich um ein Almosen. Ich hielt sie für jenes junge

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