Tagebücher der Henker von Paris
abgereist, hatten vierzig Tage im strengsten Winter unterwegs zugebracht; die Leiden, welche diese Menschen duldeten, die schlechte Behandlung, welche sie erfuhren, waren entsetzlich. Der Bericht, den einer von ihnen verfaßte, lief in ganz Paris um und rührte aller Herzen. Carriers blutiger Ruf war nur zum geringen Teil in die Massen gedrungen. Die so zahlreichen Tagesblätter waren klug, das heißt stumm, und außerdem hatte die Sorge der persönlichen Sicherheit es verhindert, sich um das Elend der Provinz große Sorge zu machen.
Auf diese Weise war der Minotaurus von Nantes, der Mann der Ertränkungen, auf seiner Bank der öffentlichen Aufmerksamkeit entgangen. Am 9. Thermidor erhob er ein größeres Zetergeschrei als seine Nachbarn und spielte seine Rolle fort, indem er den mit dem Tode ringenden Robespierre in der Straße Saint Honoré beschimpfte und das, was er, Carrier, eine gerechte Büßung nannte, mit Händeklatschen begrüßte. Der Prozeß der 132 Bürger von Nantes gab eine Enthüllung. Man erfuhr mit mehr Bestürzung als Schrecken, daß einer dieser entsetzlichen Tyrannen, die man für immer in den Gräbern glaubte, auf welche Suetonius und Tacitus die Grabschrift geschrieben, wiederauferstanden sei, daß ein solcher das Leben eines Vampirs besäße und noch existiere, nachdem er nach zwanzig Jahrhunderten die Rolle eines Heliogabalus und Nero erneuert, seine Häscher zu empörenden Ausschweifungen angestachelt und eine große Stadt, deren Vaterlandsliebe Frankreich vor der Invasion der Vendée bewahrte, in eine Wüste verwandelt hatte.
Carrier mußte in dem Prozeß der Vierundneunzig vor Gericht erscheinen, und Tronjolly, der ehemalige Bürgermeister von Nantes, der auf der Bank saß, kehrte die Rolle um, indem er denjenigen, der sich als Zeuge darbot, anklagte und ihm die Ertränkungen, Erschießungen und Metzeleien, die er während seines Prokonsulats befohlen, vorwarf. Carrier leugnete, daß er das befohlen habe, was Tronjolly in mutiger Weise als scheußliche Verbrechen schilderte. Aber diese Ausflucht wurde durch die Aussagen seiner Mitschuldigen selber, der Mitglieder des Revolutionskomitees von Nantes, auf nichts zurückgeführt. Einige standen schon unter Anklage; die anderen fühlten die Hand der Gerechtigkeit auf ihrer Schulter; alle kamen überein, Carrier für die zahllosen Mordtaten, welche begangen worden waren, verantwortlich zu machen. Der Verteidiger der Bürger von Nantes, Tronson-Ducoudray, zerriß vollends den Schleier, indem er im einzelnen darlegte, was sich zu Nantes zugetragen hatte. »Hundert Priester«, sagte er, »welche deportiert werden sollten, wurden ergriffen. Man schickte sie in einem mit einer Klappe versehenen Schiff auf die Loire, man entkleidete sie und stürzte sie in die Fluten. Dieses Schiff hat zu mehreren Ertränkungen gedient. Dieses neue Wort »die Noyaden« hat neue Schandtaten geheiligt. Am 21. bereitete sich das Komitee eine schwelgerische Mahlzeit: Gourlin zieht ein Knäuel Bindfaden aus seiner Tasche, nähert sich den Gefangenen und bindet ihnen die Hände. Philippe Tronjolly weigert sich, die Gefangenen ohne Urteil und ohne Befehl herauszugeben; auch der Gefängniswärter widersetzt sich, wird aber nicht gehört. Man treibt die Gefangenen mit Säbelhieben nach dem Hafen; sie besteigen das verhängnisvolle Fahrzeug und werden von den Fluten verschlungen. Nur einer entrinnt und klammert sich während der ganzen Nacht an einen Felsen. Man entdeckt ihn und bringt ihn wieder in das Gefängnis. Schwangere Frauen wurden in der Loire ertränkt; Kinder von sieben, acht, neun und zehn Jahren erlitten dasselbe Schicksal. Gefühlvolle Menschen verlangten, für die letzteren sorgen zu dürfen; einige Kinder wurden ihnen bewilligt, andere sah man wahrscheinlich als junge Wölfe an und ertränkte sie trotz aller Bitten der Bürger. Man hat mir mitgeteilt, daß 144 Frauen in jener Stadt, als Verdächtige eingekerkert, Hemden und Gamaschen für die Verteidiger des Vaterlandes nähten und daß diese ebenfalls auf das Schiff geführt und ertränkt wurden. Die Zahl der in der Loire ertränkten Unglücklichen war so groß und der Fluß wurde derartig verpestet, daß ein Polizeiverbot den Einwohnern von Nantes den Gebrauch des Flußwassers und sogar den Fischfang untersagte. Die blutdürstigen Männer, welche diese Maßregel rechtfertigten, wollen behaupten, man hätte nur so gehandelt, um das Vaterland zu retten. Tiberius und Ludwig XI. waren der Meinung, daß das Wohl
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