Tagebücher der Henker von Paris
nacheinander hinabsteigen konnten, und da dies dennoch nicht ohne Schwierigkeit möglich war, kam Grandmaison auf den Einfall, uns beim Kragen zu nehmen und hinunterzuwerfen. Wir boten alles auf, um unsere Fessel zu lösen, als wir aber damit zustande gekommen waren, wurden wir mit Flintenschüssen gezwungen, uns wieder festzumachen. In dem Augenblick jedoch, als man das Lichterschiff, welches die Gefangenen trug, abstieß, hatte ich das Glück, zu entkommen, und seit dieser Zeit habe ich den Strick bewahrt, mit welchem man mich gefesselt hatte.«
Der 127. Zeuge, Thomas, ein Gesundheitsbeamter, gibt eine entsetzliche Schilderung von der Beschaffenheit der Gefängnisse und der Stadthospitäler von Nantes unter Carriers Herrschaft.
»Das Revolutionshospital«, sagt er, »war in gänzlicher Entblößung; die Epidemie verübte schreckliche Verwüstungen in den Gefängnishäusern. In dem genannten Hospital sah ich in zwei Tagen fünfundsiebzig umkommen; man fand nur verfaulte Matratzen, auf deren jeder die Seuche über fünfzig Personen hingerafft hatte. Ich beschuldige das Revolutionstribunal im allgemeinen, vier- bis fünfhundert Kinder ertränkt oder füsiliert zu haben, von denen das älteste vielleicht vierzehn Jahre alt war. Mainguet gab mit eines Tages eine Anweisung, damit ich in dem Verwahrsam zwei Kinder, die ich annehmen wollte, auswählen durfte, ich wählte eins von elf Jahren und ein anderes von siebzehn Jahren. Am folgenden Tage kamen einige Freunde mit mir, die ich aufgefordert hatte, mehrere dieser unglücklichen Wesen zu sich zu nehmen, zu erziehen und zu ernähren; diese kleinen Unschuldigen waren aber nicht mehr am Leben, sie waren alle ertränkt worden. Ich versichere, daß ich noch am Abend vorher mehr als vier- oder fünfhundert gesehen hatte.«
Die Zuhörer schauderten; jede dieser Enthüllungen wurde mit dem Geschrei des Unwillens und Schreckens aufgenommen. Am Abend riß sich das Publikum um die Blätter, welche diese schrecklichen Aussagen nebst bitteren Bemerkungen brachten.
Die Aufregung verbreitete sich unter den Massen, und der Name Carrier wurde den Furien gewidmet. Der Zorn, den dieser Prozeß erregte, war so nachhaltig, daß sich eines Abends die Menge nach einem Orte bewegte, wo die Jakobiner ihre Sitzung hielten, dort die Tür sprengte und unter dem Vorwande, Carrier zu suchen, alle Anwesenden mißhandelte, die Bänke zertrümmerte und die Fensterscheiben zerbrach. Niemand zweifelte, daß der Konvent den ersten Schritt zum Anklagedekret tun werde; dies schien um so wahrscheinlicher, als schon neunzehn seiner ehemaligen Trabanten, Mitglieder des Revolutionstribunals zu Nantes und der Gesellschaft Marat, auf Aufforderung des Anklägers die Bank der Zeugen mit der Bank der Angeklagten vertauscht hatten. Der Zudrang zu den Tribünen des Konvents war ebenso stark wie zu dem Verhör, denn man erwartete jeden Tag, daß sich die Debatten entspinnen sollten; aber jeden Tag wurden die Erwartungen des Publikums getäuscht. Keiner der Repräsentanten, welche nach dem Tode Robespierres so bereit zu Anzeigen und Anklagen waren, entschied sich, im Namen der Menschlichkeit und der Würde der Versammlung die gerechte Bestrafung dieses Weiber- und Kindermörders zu verlangen.
Von der Bank der Angeklagten ging der Ruf aus, man könne nicht diejenigen, die gehorcht, bestrafen und denjenigen, der befohlen, freisprechen, ohne die Gerechtigkeit und die Billigkeit zu beleidigen.
Der Konvent entschied, daß Carrier vorläufig unter der Obhut von vier Gendarmen Hausarrest haben sollte, bis der Konvent ihn gehört hätte. Carrier arbeitete ohne Unterlaß an seiner Verteidigung; aber von allen Seiten erhoben sich neue Ankläger, eine ganze Stadt verlangte seine Züchtigung. Nantes richtete an die Versammlung eine Bittschrift, worin die wütenden Taten, die Ausschweifungen, Grausamkeiten und Mordtaten, deren Verantwortlichkeit er nicht von sich ablehnen konnte, aufgezählt waren; er hatte sich beklagt, daß die gegen ihn erhobenen Anzeigen nicht unterschrieben seien: Neun Zehntteile der Bewohner einer Stadt antworteten ihm, indem sie dieses Schriftstück mit ihren Namen unterzeichneten.
Am 1. und 2. Frimaire erschien er im Konvent und begann seine Verteidigung. Die Repräsentanten und das Volk auf den Tribünen hörten ihn, ohne sich ein Wort oder eine Gebärde des Unwillens zu erlauben; aber diese düstere Stille gab hinreichend Kunde von den Gefühlen, die auf beiden Seiten herrschten: sie setzte Carrier
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