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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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empfand einen stolzen Unwillen gegen alles, was sich, nach seiner Meinung, von den schützenden Formen jener Gerechtigkeit entfernte, an die er erst zu glauben anfing, seitdem man ihn vor ihren Richterstuhl gestellt hatte. Im Konvent hatte sich niemand zu seiner Entschuldigung erhoben; im Verhör fand sich kein Advokat, der ihn verteidigen wollte. Antonelle, der ehemalige Geschworene im Prozeß der Königin und der Girondisten, welcher durch Dobsent zum Verteidiger von Amts wegen ernannt wurde, nahm es nicht an. Auf diese Kundgebung des Abscheus, welchen er einflößt, antwortet Carrier mit einem verächtlichen Lächeln.
    Carrier hatte den Grundsatz befolgt, den ihm Hérault-Séchelles in einem im Verhör vorgelesenen Briefe empfahl:
    »Wenn ein Repräsentant auf Mission geschickt wird, so muß er treffen, mit schweren Schlägen treffen und die Verantwortlichkeit den Vollstreckern überlassen; er darf sich durch schriftliche Befehle durchaus nicht bloßstellen.«
    Da er keinen schriftlichen Beweis der Missetaten, die er befohlen, hinterlassen hatte, so glaubte er, sein Heil bestände im Leugnen, und eine Verurteilung schien ihm aus Mangel an Beweisen völlig unmöglich. Darin bestand das Geheimnis seiner Kühnheit, und deswegen weigerte er sich, die zwei oder drei Namensunterschriften, die man als Beweisstücke aufgebracht hatte, anzuerkennen; aus diesem Grunde auch verschanzte er sich hinter elende Spitzfindigkeiten und Wortspiele, indem er es von sich ablehnte, die Ertränkungen befohlen zu haben, sich aber nicht von der Schuld freimachen konnte, ihre Ausführung gelitten zu haben. Gegen Ende des Prozesses verließ ihn jedoch sein Vertrauen; in seiner Verteidigung, die er selber hielt, erkannte er, daß mehrere der von den Zeugen ausgesagten Tatsachen wahr seien, daß sie ihm aber bei seinen vielfachen Beschäftigungen aus seinem Gedächtnis hätten entschwinden können; er willigte ein, daß man seine Ungewißheit darüber für Zugeständnisse annehme. Als eine Entschuldigung nahm er die schreckliche Lage in Anspruch, in welcher sich Frankreich zu jener Zeit befunden, im Norden, Osten und Süden von Feinden überschwemmt, zu Toulon, Marseille, Bordeaux und Lyon verraten, im Westen durch den schrecklichsten Bürgerkrieg zerrissen; er schob die Übergriffe, welche begangen worden, auf die Notwendigkeit der Repressalien und auf die Schwierigkeit, einheitlich zu wirken; er rief die Gnade des Tribunals an.
    »Ich bemerke,« sagte er, »daß den Räubern, die zur Pflicht zurückkehren würden, eine Amnestie bewilligt worden ist und daß man sich anschickt, eine solche auch den unglücklichen verirrten Patrioten zu gewähren; es scheint mir, daß man dieselbe Nachsicht auch den Opfern, die sich an meiner Seite befinden, bewilligen sollte; sie konnten sich täuschen, sie konnten diesen Irrtum mit vielen anderen teilen.«
    Am 26. fünf Uhr morgens traten die Geschworenen in das Beratungszimmer; sie kehrten zurück und sprachen das Schuldig aus über Carrier, Pinard und Grandmaison, das Nichtschuldig für die übrigen. Letztere wurden in Freiheit gesetzt, und auf den Antrag des öffentlichen Anklägers fällte der Vorsitzende das Urteil, welches die drei Angeklagten zum Tode verurteilte.
    Die Nachricht von Carriers Verurteilung verbreitete sich mit unglaublicher Schnelligkeit durch Paris; mein Großvater erfuhr dieselbe, ehe ihm der Befehl zur Hinrichtung zugegangen war. Freilich befolgte der neue Gerichtshof nicht die Sitte Fouquier-Tinvilles, sondern wartete mit dem Befehle, das Schafott zu errichten, bis das Urteil gefällt war.
    Mein Großvater begab sich um zwei Uhr in die Conciergerie. Die Verurteilten wurden behufs Zurüstung in das Vorzimmer der Kanzlei gefühlt. Grandmaison erschien zuerst. Dieser Mensch, der schwache Wesen erwürgt hatte, zitterte vor dem Tode; er war bleich und entstellt, konnte nur mit Mühe gehen und atmete beengt. Pinard, welcher der zweite war, geriet im Gegenteil in eine Wut, die an Wahnsinn grenzte. Er war ein kleiner, dicker, untersetzter Mann mit finsterem Gesicht. Als er Carrier erblickte, machte er sich von den Gehilfen, die ihm die Hände banden, los, stürzte sich mit einem Satze auf seinen ehemaligen Vorgesetzten, packte ihn bei der Kehle und versuchte ihn zu ersticken. Hätten sich die Gehilfen und Gendarmen nicht ins Mittel gelegt, so wäre Carrier sicherlich von der Hand eines seiner Mitschuldigen umgebracht worden. Es gelang ihnen, ihn diesem Wütenden zu entreißen; er machte

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