Tagebücher der Henker von Paris
in Schrecken. Am 3. Frimaire ersuchte er den Präsidenten schriftlich um Entschuldigung, daß er sich wegen plötzlicher Erkrankung nicht in die Sitzung begeben könne. Mehrere Mitglieder verlangten, man solle zum Namensaufruf schreiten; andere widersetzten sich diesem Schritt, ehe man Carrier gehört habe. Ihre Einmischung ärgerte Legendre, den Vorsitzenden, und bewog ihn zu einem rednerischen Aufschwung, der seinem ehemaligen Freunde Danton sogar Ehre gemacht haben würde. Er verließ seinen Lehnstuhl und schritt auf die Rednerbühne.
»Ich klage niemand an,« rief er; »aber ich erkläre, daß bei mir die Überzeugung feststeht, daß diejenigen, welche bei den Jakobinern Carrier mit ihren Leibern schützen wollten, noch hier sind, um ihn zu retten. Von dieser Seite ging die Diskussion aus, welche gestern hier stattfand. Man hat tatsächliche Beweisstücke verlangt. Nun gut, wenn ihr wollt, so lasset die Loire nach Paris zurückfließen; lasset die Schiffe mit der Klappe kommen, lasset die Leichen der Unglücklichen kommen, die man geopfert hat. Ihre Zahl ist groß genug, um die Lebenden zu überdecken. Das Volk hält die Augen offen, und niemand wird es in dieser Angelegenheit täuschen.«
Legendre erklärte darauf, daß die vorgeschützte Krankheit Carriers ihn nicht vor seinem Urteil schützen könne.
»Werfet die Augen auf den Kalender,« fügt er hinzu, »zählet die Zahl der Tage, die er in Nantes zugebracht hat, und ihr werdet die Zahl seiner Verbrechen gezählt haben. Ich verlange, daß er aufgefordert werde, sich in den Schoß des Konvents zu begeben, und daß man zum Namensaufruf schreite.«
Diese mit Beifall aufgenommene Rede riß die Versammlung fort, und man erhob Legendres Antrag zum Beschluß. Zwei Stunden darauf brachten die Gendarmen Carrier herbei, welcher seine Verteidigung beschloß, worin sich unter anderem jener Satz befand, der sich vielleicht als eine Anschuldigung der berühmten Versammlung erhalten wird:
»Alles ist hier schuldig, sogar die Klingel des Präsidenten!«
Man ließ Carrier abführen, um zur namentlichen Abstimmung zu schreiten. Die Stimmenzahl belief sich auf fünfhundert; vierhundertachtundneunzig sprachen sich für die Anklage aus; nur zwei gaben eine bedingte Stimme ab.
Carrier wurde in der Nacht verhaftet; er lag gerade zu Bett und schlief. Er bat die Agenten der Komitees, man solle ihm erlauben, die Bettvorhänge zuzuziehen, er wolle sich ankleiden; jene weigerten sich; er ergriff darauf eine Pistole, welche er unter seinem Kopfkissen versteckt hatte; man entriß sie ihm aber, ehe er sie nach dem Munde führen konnte; er wurde in die Conciergerie gebracht.
Am 7. Frimaire erschien er vor dem Tribunal.
Die in dem ersten Teil des Prozesses vernommenen Zeugen wurden von neuem aufgerufen und sagten über die Tatsachen aus, die den Repräsentanten persönlich betrafen. Mehrere bezeugten, in Lambertycs Händen den schriftlichen Befehl gesehen zu haben, kraft dessen jener die Ertränkungen vorgenommen habe. Diesen Aussagen gegenüber legt sich Carrier aufs Leugnen; er beteuert, durchaus keine Kenntnis von jenen Ertränkungen gehabt zu haben; er erklärt, daß, wenn einige zum Transport bestimmte Verhaftete auf diese Weise umgekommen, dies nur die Folge eines Zufalls gewesen sei; er schreibt diese Verleumdungen, wie er es nennt, dem Hasse zu, welchen die Provinzbewohner im allgemeinen und die Bretonen im besonderen gegen die Fremden hegen; er behauptet, das Volk von Nantes sei fern gewesen, ihn als einen Tyrannen anzusehen, sondern hätte ihn vielmehr als einen Wohltäter betrachtet und, wenn er sich auf den Straßen gezeigt, Kränze auf sein Haupt geschüttet. Aber seine Mitangeklagten unterbrechen ihn, indem sie die Wahrheit der Zeugenaussagen bestätigen, auf die Unwahrscheinlichkeit der Behauptungen Carriers aufmerksam machen und beteuern, daß sie nur die Vollstrecker der Befehle gewesen seien, welche jener, durch seine Stellung berechtigt, ihnen erteilt habe.
Der allgemeine Unwille, welchen er einflößte, die entsetzliche Verlassenheit, welche die Folge seiner Verbrechen war, erschütterte die wilde Festigkeit der Prokonsuls nicht im geringsten. Er zeigte dieselbe zynische Unverschämtheit, von welcher Marat zuerst ein Beispiel gegeben hatte; wie jener antwortete er auf die niederschmetterndsten Beschuldigungen damit, daß er seine Feinde zur Scham zurückrief! Er berief sich auf das Gesetz, er, der Verächter aller göttlichen und menschlichen Gesetze; er
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