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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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sich hastig, aber ohne Zorn, los, und als Pinard ihn noch immer mit Schimpfreden verfolgte und ihm nicht nur seinen Tod, sondern auch die Verbrechen, die er auf seinen Befehl vollbracht, vorwarf, zuckte Carrier die Achseln und sagte zu den Gendarmen in dem befehlenden Tone, den er noch aus seinem Amte behalten:
    »Befreiet uns doch von diesem Wütenden!«
    Carrier war ein Mann von fünf Fuß sechs Zoll Höhe, mager, knochig und sehr gebückt; seine Gesichtsfarbe war gelb wie die eines Kreolen, seine Haare von mattem Schwarz fielen lang und schlicht auf seine Schultern herab. Die hervorspringenden Backenknochen, die eckigen Züge, ein breiter Mund, verschleierte Augen verliehen seinem Gesicht eher einen gemeinen als wilden Ausdruck. Er hatte seine ganze Kaltblütigkeit bewahrt und schien fest in sein Schicksal ergeben. Während man ihm das Haar verschnitt, sprach er viel, wiederholte aber nur, was er bereits vor dem Gerichtshofe gesagt hatte, daß er arm aus seinem Amte getreten sei, daß er sich von den Gütern der Republik, die er verwaltet, nichts zugeeignet habe, daß sein ganzes Vermögen heute wie vor der Revolution in einem Pachthofe von 10 000 Livres bestände, welchen er seiner Frau hinterließe und womit diese kaum ihren Unterhalt finden würde. Bei diesem Gedanken schien er gerührt zu werden, aber seine Rührung glich durchaus nicht der weichen Stimmung anderer Menschen; sie verriet sich nur durch seinen starren Blick und durch nervöse krampfhafte Zuckungen. Er erholte sich auch sogleich wieder und sagte, »er würde zufrieden sterben, wenn sein Tod dazu beitrüge, die Republik zu befestigen; was ihn betreffe, so sei er der Überzeugung, daß die Nachwelt ihn rehabilitieren werde«. Diese Meinung klang so seltsam von Carriers Lippen, daß alle Anwesenden trotz der ernsten Lage sich des Lächelns nicht erwehren konnten. Er wiederholte noch einmal, daß er als Opfer der zweideutigen Befehle des Komitees sterbe, daß man ihm befohlen, so zu handeln, wie er gehandelt habe, und daß man sich wohl gehütet haben würde, ihn unter Anklage zu stellen, wenn die Originale jener Befehle noch in seinem Besitze wären.
    Die drei Verurteilten wurden zusammen in einen Karren gebracht. Pinards Wut wuchs mit jedem Augenblick; wiederholt versuchte er, Carrier, der in seiner Nähe stand, zu beißen; ein Gehilfe mußte sich zwischen die beiden Verurteilten stellen, um jenen zu schützen. Während des Zuges ließ das Volk wütende Verwünschungen hören, es lag in dem Ton so viel Haß, in den Augen so viel Abscheu, daß man hätte glauben können, alle ohne Ausnahme hätten den Tod eines ihrer Verwandten zu rächen. Diese Wut der Menge machte nicht den geringsten Eindruck auf Carrier.
    Wie zornig sich auch die Blicke auf ihn richteten, so hielt er sie aus; wie schrecklich auch die Zurufe klangen, so hörte er sie, ohne den Kopf zu senken. Welches war die Ursache dieser Verhärtung bei einem Menschen, der zu aufgeklärt war, als daß er die Bedeutung der Missetaten, mit denen er sich besudelt, nicht hätte richtig schätzen müssen? Muß man sie dem revolutionären Fanatismus zuschreiben? Oder muß man annehmen, Gott habe manchem Menschen das richtige Gefühl für die Unterscheidung des Guten vom Bösen vorenthalten? Wie dem auch sei, diese Verhärtung brachte die Menge zur äußersten Wut, und der Unwille wuchs in dem Maße, wie der Karren weiter vorrückte. Man schien zu glauben, daß Carrier, wenn er nicht wie ein Feigling stürbe, die Natur und das Gesetz noch einmal beschimpfe. Als der Zug auf dem Grèveplatze ankam und am Fuße des Schafotts hielt, wartete die Menge auch nicht mit ihrem Beifall, bis die Köpfe der Schuldigen unter dem Messer fielen; sie wollte, daß sie die kränkende Überzeugung von der Befriedigung, mit welcher ihr Tod aufgenommen wurde, mit in das Grab nehmen sollten, und ein donnernder Applaus begrüßte sie, als sie von dem Wagen herabstiegen.
    Grandmaison wurde zuerst hingerichtet; dieser endigte, wie solche Elenden endigen müßten: der Schrecken hatte sein Blut erstarrt und seine Nerven gelähmt. In dem Augenblick, als Pinard die Leiter hinaufstieg, warf er sich hintenüber, ließ sich auf die Gehilfen, welche ihn stützten, fallen und begann einen Kampf mit ihnen, indem er sich mit den Füßen, den gefesselten Händen und seinen Zähnen verteidigte; er war so stark, daß vier Gehilfen des Scharfrichters ihre Kräfte vereinigen mußten, um ihn niederzuwerfen und auf das Fallbrett zu tragen.

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