Tagebücher der Henker von Paris
ersten Male seine Hände in das Blut seines Nächsten tauchen sollte.
In solche düsteren Betrachtungen fand mich noch das Morgenlicht versunken. Ich stand von der Bank auf, wo ich so lange gesessen hatte. Es schien mir, als sollte ich, gleich dem gefallenen Engel und den aus dem Paradiese vertriebenen ersten Menschen, auf ein erhabenes Recht Verzicht leisten und den Stempel des göttlichen Ursprungs verlieren. Langsamen und scheuen Schrittes ging ich einher, als ob der Blitz das Siegel der Verworfenheit auf meine Stirn geprägt hätte. Die Gehilfen erwarteten mich im Hofe; ich stieg mutlos in die alte Kutsche, auf deren Wappen sich die zerbrochene Glocke zeigte; gleich ihr war auch ich ohne Stimme.
Wir fuhren langsam die Vorstadt Saint-Denis hinab, über die Kais und gelangten bis an die Pforte der Conciergerie.
Die dicken Gittertore knarrten in ihren Angeln, und wir betraten die düsteren Flure, deren Gewölbe und feuchte Mauern ein eiskaltes Wasser herabtröpfeln lassen, welches unwillkürlich an den Todesschweiß erinnert. Meine Gehilfen folgten mir in einiger Entfernung, ich glaubte zu bemerken, daß man sich beim Anblick dieses Generalstabes des Todes mit einer Verachtung entfernte, welche zum Teil erkünstelt schien. Ich fühlte mich nicht in der Stimmung, den Hochmut der Herren von der Feder oder von der Kohorte der Schlüsselträger zu dulden. Ich nahm selber einen rauhen und befehlenden Ton an, der ihnen zeigte, daß ihre Art und Weise keinen Eindruck auf mich machte; zu gleicher Zeit erleichterte ich dadurch mein von Bitterkeit geschwelltes Herz.
Ich forderte den ersten Schließer auf, uns den Verurteilten zu überliefern. Man führte uns in einen niedrigen Saal, dessen Gewölbeverzierungen auf eine ehemalige religiöse Bestimmung deuteten. Es war eine Kapelle oder ein Betzimmer aus der Zeit des heiligen Ludwig, welches man in ein Gefängnisvorzimmer verwandelt hatte.
Bald darauf erschien Foulard, von dem würdigen Abbé Montès begleitet, mit welchem ich später in ein Verhältnis trat, das nur durch den Tod gelöst wurde. Ich geriet in Bestürzung bei dem Anblick des unglücklichen Mannes, den ein unerbittlicher Richterspruch mir überließ, wie man einem wilden Tiere die Beute vorwirft. Foulard war kaum zwanzig Jahre alt; hätte ihm sein Vater beim Tode zehn Taler Rente hinterlassen, so würde man seine Minderjährigkeit vorgeschützt haben, um ihm die Verfügung über dieses geringe Erbteil zu verweigern; aber für das Verbrechen, zur Verbüßung der Strafe, und welcher Strafe: des Todes! hatte man ihn volljährig erklärt. Der Tod für dieses Kind voll Leben, voll Kraft und Gesundheit, dem Gott gewiß viele Jahre zur Reue und Buße vorbehalten hatte! Dies schien mir ein doppelter Schimpf: an der Vorsehung und an der Natur.
Foulard war ein großer, schöner Bursche; seine freie Stirn und das ein wenig kränkliche, aber von offener Miene beseelte Antlitz, seine ausdrucksvollen Augen ließen kaum eine solche Verderbtheit ahnen, wie die, welche ihn zu dem begangenen Verbrechen getrieben hatte. Erschien uns ohne Rührung und Aufregung zu erblicken; wer uns in diesem Augenblick beobachtet hätte, würde kaum vermutet haben, daß er das Opfer und ich der Scharfrichter sei. Fauconnier, mein erster Gehilfe, der meinen inneren Kampf aus meinen Gesichtszügen las, trat eilig vor und ersuchte Foulard, sich niederzusetzen, damit er die traurige Zurüstung mit ihm vornehmen könnte. Dieser gehorchte stumm, beugte das Haupt und fühlte an seinem Nacken die Schneide der Schere, die klägliche Vorbotin des mörderischen Beils.
Nachdem dies beendigt war, stiegen wir auf den Karren; der Abbé Montès und Foulard nahmen den Hinteren Platz, ich nebst meinen beiden Gehilfen den vorderen ein. Der ehrwürdige Seelsorger der Conciergerie, welcher fortfuhr, dem unglücklichen Büßenden die notwendigen Ermahnungen und Ermutigungen zu spenden, bemerkte ohne Zweifel, was ich selber litt; denn er richtete voller Güte das Wort an mich.
»Sie sind«, sagte er, »der Nachfolger Ihres Vaters. Es gehört viel Mut dazu, ein solches Amt auszuüben. Wir beide gehen auf benachbarten Straßen nach entgegengesetzten Zielen. Sie stellen hier die Gerechtigkeit der Menschen vor und ich die Barmherzigkeit Gottes. Es ist nicht zu erstaunen, daß die eine unendlich, die andere beschränkt ist, nur jene, welche ewig ist, vermag geduldig zu sein; auf sie allein«, fügte er, zu Foulard gewandt, hinzu, »muß man seine letzten Gedanken
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