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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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oft schlafen gesehen hatte. Ich sehnte mich nach Schlummer, aber er senkte sich nicht auf meine ermüdeten Augenlider. Ich entschloß mich, nicht zu Bett zu gehen, sondern die Nacht vor meinem Ritterschlage wachend zu vollbringen.
    Alles an diesem Orte sprach zu meiner Erinnerung: die Bank, auf welcher ich saß; dieses alte, in Trümmer gefallene Waschhaus, das ehemalige Asyl meiner Tauben.
    Ich fühlte die Anwandlung, aufzustehen und vor meinen Vater mit der Erklärung hinzutreten, ich hätte meine Kräfte überschätzt, indem ich ein Amt auf mich genommen, zu dessen Ausübung ich nicht die nötigen Kräfte haben würde, denn ich könnte den Abscheu dagegen nicht überwinden. Dann stellte ich mir aber wieder den armen Mann vor, wie er, von diesem unerwarteten Geständnis überrascht, seine letzten Kräfte zusammenraffen würde, um meine Stelle auszufüllen, und das Opfer, zu dem ich ihn zwang, vielleicht mit dem Leben bezahlen mußte. Die Worte, die er zu meinem Lehrer sagte: »Wiese mein Sohn diese Livree zurück, in welcher zu altern und zu sterben ich einmal verdammt bin, so würde es mir vorkommen, als hätte ich alles Anrecht auf seine Achtung und Zuneigung verloren; ich würde ihn nicht ohne Erröten anzusehen wagen!« Diese Worte kamen mir ebenfalls ins Gedächtnis und machten mir klar, wohin der Trieb des Widerspruchs, der in mir rege wurde, führen mußte. Es schien mir, als hätte der gute Abbé dies selber eingesehen, als er zu mir sagten:
    »Was auch geschehe und was du tust, wenn du Mann geworden bist, so werde ich dir meinen Segen nicht entziehen, und wenn du hienieden leidest, dort oben für dich beten!«
    In seiner letzten Todesstunde hatte mein alter Lehrer eine Vorstellung von dem schrecklichen Kampf, den ich in dieser verhängnisvollen Nacht bestehen mußte, und mir deshalb feierlich verkündigt, er wolle jedem Entschluß, den ich fassen würde, seinen Segen erteilen. Diese im voraus gegebene Amnestie eines Gerechten und Weisen, welche zu den unerbittlichen Vorurteilen der Welt in schroffem Gegensatze stand, tat mir wohl. Ich fühlte mich einen Augenblick gekräftigt, aber bald sah ich mich in eine neue Verlegenheit verstrickt.
    Ich bedachte, daß man zu derselben Zeit einen Mann in seinem Kerker weckte, um ihm anzuzeigen, daß seine letzte Stunde geschlagen habe und er seinen zeitlichen Schlaf gegen den ewigen vertauschen müsse. Diese düstere Szene, die ich niemals gesehen hatte, trat in meiner Einbildungskraft deutlich hervor. Bei dem düsteren Lampenlicht sah ich, wie dieser Unglückliche von den Schrecken des Todes erfaßt wurde, wie er sich auf seinem Sitz erhob, die Glieder in die Zwangsjacke geschnürt und das Gesicht mit der bleichen Farbe des Schreckens bedeckt; ich hörte den Gerichtsdiener den verhängnisvollen Urteilsspruch vorlesen, während die Kerkermeister sich untereinander anblickten und die Rührung, die sich auf ihren sonst so mürrischen und düsteren Zügen zeigte, nicht verbergen konnten; ich sah endlich den Mann Gottes vortreten, um diesem Opfer unerbittlicher Gerechtigkeit die Worte unendlicher Gnade zu spenden. Es war mir, als widerspräche er diesen strengen menschlichen Urteilssprüchen, die unwiderrufliche Strafen verfügen, während der Herr selbst, der unumschränkte Urheber der Gnade, sich durch einen Augenblick der Reue entwaffnen läßt.
    Es entging mir kein einziger Umstand. Ich folgte dem Verurteilten durch die ganze schmerzliche Todesqual; ich wohnte dem Abschiede von seinen Angehörigen bei, ebenso dem kläglichen Henkersmahl, wo man ihm einen herzstärkenden Trank reicht, damit er Kräfte und Mut aufspare, der Totenmesse und dem verfrühten Leichenzuge, wobei der Priester, barmherziger als die menschlichen Richter, keinen Anstand nimmt, das Viatikum den besudelten Lippen zu reichen, sobald sie sich durch Gebet und Bekenntnis gereinigt haben. Ich sagte mir, daß sie alle nur Vorläufer meiner schrecklichen Sendung seien, daß dieser Unglückliche noch immer mit einem Faden, wenngleich einem schwachen, dem Leben anhinge und sich dann erst für vollkommen verloren hielte, sobald er mich erblickte; daß mir allein das traurige Vorrecht zustehe, seine letzten Täuschungen mit einem Augenblinzeln zu vernichten und ihn völlig niederzuschmettern.
    Diese Nacht verging unter diesen ängstlichen Kämpfen. Der Unglückliche, welcher am nächsten Tage sterben sollte, kämpfte nicht schlimmer als der Mann, welchen das Gesetz zu seinem Mörder bestimmte und der zum

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