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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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dich deine Kräfte überschätzen. Du kannst weder den Zug noch die körperlichen und geistigen Beschwerden eines solchen Tages ertragen. Was tut es übrigens, wenn ich dir doch einmal nachfolgen soll, ob dies ein wenig früher oder später stattfindet? Trägst du nicht schon lange genug die Last dieses mühseligen Amtes allein? Ach, du hast es mir vergebens zu verbergen gesucht; trotz meiner eigenen Rührung sah ich, wenn ich dich begleiten durfte, auf deinem Gesicht, was du selber littest.«
    »Ich versichere dir, daß du dich irrst. Ich bin jetzt vollkommen hergestellt und fühle meinen Fuß und meine Augen so sicher wie jemals.«
    Bei diesen Worten erhob er sich aus seinem Lehnstuhl und versuchte einige Schritte im Zimmer, bald aber verließen ihn seine Kräfte, und er mußte sich wieder niedersetzen.
    »Selbst wenn du imstande wärest, deinem Amte vorzustehen, bin ich entschlossen, dir dieses Mal die Mühe zu ersparen. Du weißt, wie schwer mir diese Entscheidung wird, du weißt aber auch, daß ein einmal gefaßter Entschluß bei mir unwiderruflich feststeht. Von heute ab betrete ich entschlossenen Schrittes meine Laufbahn. Nun, mein Vater, so mache es wie jene alten römischen Kaiser, die noch bei ihren Lebzeiten ihren Sohn mit dem Purpur bekleideten!«
    Der Vergleich war zwar doppelsinnig, zeugte aber von der erkünstelten Heiterkeit, unter welcher ich meinem Vater meine eigene Überwindung verbarg. Man glaubt nicht, wieviel zärtliche List und Verstellung in unserer Familie aufgeboten ward, um sich gegenseitig die Last eines qualvollen Lebens zu erleichtern.
    Mein Vater gab nach. Er gab mit die verschiedenen Befehle an, welche ich dem Zimmermann und seinen Arbeitern zu erteilen hatte, damit die Maschine zur bestimmten Stunde aufgestellt sei; er wies mich an unsere beiden ältesten Gehilfen, machte mich mit den Pflichten eines jeden von ihnen bekannt und versicherte mir, sie würden mir bei dieser Gelegenheit den Eifer und die Hingebung erzeigen, welche sie stets unserem Hause erwiesen hätten, und daß, wie bei ihm, sich meine Aufgabe einzig darauf beschränken würde, den Tod, den die Gesellschaft über eines ihrer unwürdigen Mitglieder verhängt hatte, durch meine Gegenwart zu rechtfertigen.
    Ich verließ das Zimmer meines Vaters in dem Augenblick, als er die mir angewiesenen Gehilfen rufen ließ, um eine kurze Anrede an sie zu richten und sie zu bitten, mir bei meinem schwierigen Amtsantritte als Beschützer und Helfer beizustehen.
    »Ich vertraue euch, was ich Teuerstes auf der Welt habe, an,« sagte er zu ihnen, »meinen einzigen Sohn. Er ist der Nachkomme einer alten Scharfrichterfamilie; wachet darüber, daß er nicht unter der Last seines erblichen Amtes erliege! Eure Väter haben in diesem Hause gelebt, in dem wir leben und sterben werden; eine traurige Gegenseitigkeit verbindet uns, wir bilden eine Welt für uns; die Geschlechter folgen sich darin, ohne daß die Lage des einzelnen sich verändert. Laßt uns also in vollkommener Einigkeit und gegenseitiger Hingebung die Mittel finden, uns über die harten Pflichten unseres Lebens zu trösten!«
    Die Gehilfen waren gerührt und versprachen meinem Vater, ihrem jungen Meister treu zu dienen, übrigens war ich von diesen armen Leuten geliebt, und ich begegnete ihnen niemals im Hofe oder beim Gebet, ohne einige freundliche Worte an sie zu richten.
    Ich hatte das Zimmer meines Vaters in der größten Aufregung verlassen; nichtsdestoweniger erfüllte ich genau die Anweisung, die er mir in bezug auf den Zimmermann gegeben hatte.
    Je näher aber der Abend kam, desto größer wurde die Angst, die sich meiner bemächtigte. Beim Mittagsmahle konnte ich nur einige Löffel Suppe und einige Schlucke Wein genießen, der Schlund war mir dermaßen zusammengeschnürt, daß ich nichts hinunterbringen konnte.
    Zum Glück war mein Vater auf seinem Zimmer geblieben, denn wenn er mich in diesem Zustande gesehen hätte, würde er mir mein Amt für den folgenden Tag streitig gemacht haben. Meine Mutter und meine Frau betrachteten mich mit unruhigen Blicken; mit dem feinen Takt, welcher den Frauen von Natur eigen ist, enthielten sie sich aber, ein Wort an mich zu richten, denn sie sahen ein, daß jede Art Ermutigung unnütz sei und daß ich mit einem inneren Gefühl kämpfte, das überwunden werden mußte.
    Nach Tisch zog sich jeder zurück. Ich vertiefte mich in das dickste Gesträuch des Gartens und setzte mich auf die Bank, auf welcher ich in meiner Kindheit meinen Vater

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