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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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richten und darin sein letztes Heil suchen.«
    Obgleich ich das Gefühl des Wohlwollens, in welchem der Abbé Montès dies zu mir sagte, wohl empfand, war ich doch unfähig, eine Antwort hervorzubringen.
    Foulard war anfänglich schweigsam; in dem Augenblick jedoch, als wir auf den Kai hinausbogen, geriet er in große Aufregung, erhob sich mehrmals von seiner Bank und rief der Menge, die sich längs der Straße versammelt hatte, mit gellender Stimme zu:
    »Ihr Eltern, sehet, wohin es führt, wenn man von der Familie verlassen ist! Ja, ich bin schuldig, aber die Schuld lag an meinen Eltern, die mich ohne Stütze und Erziehung mir selber überließen.«
    Der Abbé beschwor ihn, diese bitteren Beschuldigungen zu unterlassen, die Gott beleidigten, ohne ihn vor den Menschen zu rechtfertigen. Im ersten Augenblick schien der Unglückliche diese Vorstellung nicht zu beachten; da neigte sich der Priester zu mir und flüsterte mir ins Ohr:
    »Mein Herr, ich bin mit Ihrem Vater übereingekommen, daß er das Zeichen nicht eher gebe, als bis er den Verurteilten, den ich mit dem Herrn versöhnt habe, die Worte sprechen hören werde: »Mein Gott, ich empfehle meine Seele in deine Hände!« Es handelt sich darum, eine Seele zu retten; darf ich hoffen, daß Sie diese Bitte ebenfalls berücksichtigen?«
    Stumm und gebeugt, beschränkte ich mich auf eine bejahende Gebärde.
    Wir waren auf dem Grèveplatz angekommen. Die Guillotine streckte ihre beiden roten Arme aus, und das bleiche Licht der Wintersonne spiegelte sich auf dem polierten Stahl. Foulard hatte sich plötzlich beruhigt. Eine beträchtliche Menge bedeckte den gepflasterten Platz, und zahlreiche Neugierige, von diesem blutigen Schauspiel angelockt, zeigten sich an den Fenstern der Häuser. Wir stiegen ab, Foulard warf sich in die Arme des Abbé Montès, küßte andächtig das Kruzifix und rief dann einen Brigadier von seiner Kompanie, den er in der ersten Reihe der Zuschauer erkannt, herbei.
    »Tritt heran, mein Alter!« rief er ihm zu. »Wenn ich nicht allen Kameraden Lebewohl sagen kann, so mag es in deiner Person geschehen.«
    Der alte Soldat zauderte nicht; er trat an den Fuß des Schafotts, umarmte den zum Tode Geführten, und ich sah, wie zwei Tränen von seinem gebräunten Gesicht in seinen dichten Bart hinabrollten.
    Foulard war immer aufgeregter geworden, und seine Gesichtsfarbe verriet eine Art von Fieber oder Wahnsinn. Er wendete sich plötzlich zu mir.
    »Lassen Sie sich ebenfalls umarmen,« sprach er, »damit ich zeigen kann, ich sei ohne Groll und verzeihe allen Menschen, damit Gott auch mir verzeihe.«
    Dies war der letzte Schlag für mich; ich bebte erschrocken zurück. Das Opfer verzieh dem Scharfrichter, und der Scharfrichter konnte sich nicht selber verzeihen. Ich glaube, daß, wenn dieser Unglückliche mich mit seinen Lippen berührt hätte, ich nicht den Mut haben würde, das Zeichen zu seinem Tode zu geben.
    Aber was sage ich? Dieses Zeichen gab ich nicht. Meine Gehilfen, die meine jähe, zurückweichende Bewegung bemerkt hatten, ahnten die Gefahr. Sie führten Foulard nach dem Schafott, zu welchem er mit festen Schritten hinaufstieg. In wenigen Augenblicken war er auf das Brett gebunden, und eine Stimme, deren Ton noch lange in meinen Ohren nachhallte, hatte kaum die Worte gesprochen: »Mein Gott, ich befehle meine Seele in deine Hände!«, als sich ein dumpfer Ton, der mir durch Mark und Bein ging, hören ließ. Fauconnier hatte nicht auf das Zeichen gewartet, da er wohl sah, daß ich nicht im stände war, es zu geben.
    Unwillkürlich richtete ich meine Augen auf die Szene des Mordes und sah, wie einer der Gehilfen den Korb beiseitestieß, während der andere das Blut, welches über das Schafott floß und durch die Planken auf das Pflaster rann, mit einem Schwamm abwusch.
    Ich war einer Ohnmacht nahe. Von einem schrecklichen Phantom verfolgt, entfloh ich. Es war mir, als verfolgte mich dieser enthauptete Leichnam und als drängte die Volksmenge hinter ihm her und riefe aus tausend Kehlen den Racheschrei:
    »Henker! Henker! Henker!«
    Meine Gehilfen, den Wagen, das ganze Gerät der Hinrichtung hatte ich auf dem Grèveplatz zurückgelassen. Ich vertiefte mich allein in jenes Wirrsal düsterer und krummer Gassen, welche früher dem Rathause gegenüberlagen und jetzt durch einen der glänzendsten Stadtteile von Paris ersetzt sind. Immer noch schien es mir, als erblickte ich auf dem kotigen Boden oder an den trüben Fenstern dieser scheußlichen Häuser

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