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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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letzten Seufzer aus, indem er um Gnade für seinen Mörder bat und seine mutige Gattin ermahnte, sich für das Kind, das sie im Schoße trug, zu erhalten; ein kostbares Kind in Wirklichkeit, der letzte Sprößling eines berühmten Geschlechts, welchem das Geschick einen Thron versprach und nur die Pilgerfahrt der Verbannung gewährte.
    Mitten unter den Freuden einer Karnevalsnacht hatte sich diese traurige Nachricht in der Hauptstadt verbreitet. Der Prinz konnte nicht nach den Tuilerien gebracht werden; man schlug ihm ein Bett im Theater selbst auf, in einem kleinen Salon neben der königlichen Loge; dort verschied er inmitten seiner trostlosen Familie und rührte alle, die ihn umgaben, durch sein christliches Ende und seine dringende Vermittlung zugunsten des Elenden, der ihm den Todesstoß versetzt hatte.
    Obgleich Ludwig XVIII. schon krank und gebrechlich war, ließ er sich doch an das Bett seines Neffen bringen. Der alte König neigte sein weißes Haupt unter der Last dieses Unglücks und fragte sich, ob der Dolch jenes Mörders nicht außerdem eine verhängnisvolle Vorbedeutung für seine durch soviel Wechselfälle geprüfte Familie sei. Wer weiß, ob das scharfsichtige Auge des Monarchen, indem es die Geheimnisse der Zukunft erforschte nicht in jener Trauernacht die Katastrophe vorhersah, welche zehn Jahre später die Hoffnungen seines Geschlechts scheitern ließ.
    Am folgenden Morgen wurde Louvel in die Conciergerie gebracht. Aus dem ersten Verhöre ergab sich, daß er den Plan schon seit 1814 gefaßt hatte. Der Gedanke war ihm in Metz gekommen, während er als Nationalgardist auf dem Walle Schildwache stand.
    »Seit einigen Wochen«, erzählte er, »wurden wir durch die Fremden belagert, als ich aus den Tageblättern, die ich damals noch las, aber jetzt nicht mehr lese, weil sie mir zuwider sind, ersah, daß die Bourbonen nach Frankreich zurückkehren und den Thron besteigen sollten. In jenem Augenblick schwor ich ihnen den Tod, denn in meinen Augen ist das größte Verbrechen, welches ein Franzose begehen kann, das, wenn er mit Hilfe der Feinde in sein Vaterland zurückkehrt. Außerdem hatten die Bourbons die Waffen gegen Frankreich geführt, was ich ihnen nicht verzeihen konnte; ich würde also, wenn ich sie tötete, meinem Vaterlande einen Dienst leisten und war bereit, dem Tode Trotz zu bieten und meine Pläne zur Ausführung zu bringen. Sechs Jahre lang habe ich auf die Gelegenheit gewartet, immer nach dem günstigen Augenblick gespäht, ihn zuweilen durch Zufall, zuweilen aus Schwäche versäumt; endlich ist der Streich geschehen, und ihr werdet mich auf dem Schafott ebenso ruhig sehen, wie ich jetzt bin, wie ich es bei der Ausübung meines Handwerks war und wie ich es stets gewesen bin.«
    Das Verbrechen war somit vollkommen eingestanden und der Vorbedacht unverkennbar.
    Die Nachforschungen, welche man über das frühere Leben Louvels anstellte, ergaben nichts Ungewöhnliches. Frühzeitig verwaist, war er von einer älteren Schwester erzogen worden, die ihn in eine Erziehungsanstalt in Versailles zu kostenfreiem Unterricht gegeben hatte. Der Erziehungsart jener Zeit gemäß hatte man ihn in der »Erklärung der Menschenrechte« und in der »Sammlung patriotischer Hymnen«, wie die ›Marseillaise‹, der ›Gesang des Abmarsches‹, das ›Erwachen des Volkes‹ und so weiter,
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gelehrt.
    Louvel verließ diese republikanische Kindheit nur, um sich der Überspannung eines kriegerischen Jünglingsalters zu ergeben. Die kaiserliche Heldenfahrt ließ in seiner Einbildungskraft noch tiefere Spuren zurück als die demokratischen Erinnerungen seiner frühesten Jugend. Der Liberalismus verwandelte sich in Patriotismus. Die unerbittliche Konskription, welche zu jener Zeit die Menschengeschlechter niedermähte, rief ihn unter die Fahnen, aber seine schwächliche Körperbeschaffenheit und eine frühzeitige Gebrechlichkeit gestatteten ihm nicht, im Dienst zu verbleiben; nach einiger Zeit erhielt er seinen Abschied. Wenngleich er aber aus der französischen Armee ausschied, so fühlte er doch bitter die letzten Unglücksfälle, welche dieselbe betrafen. Die verhängnisvolle Invasion von 1814 erregte seinen Unwillen in höchstem Grade; seit jener Zeit hegte er einen tiefen, blinden Haß gegen die Bourbons, in welchen sein engherziger Patriotismus nicht nur die Wiederhersteller der Leiden des Vaterlandes, sondern auch ehrgeizige Fürsten erblickte, die das Unglück des Vaterlandes benutzten, um den Thron ihrer

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