Tagebücher der Henker von Paris
Kanzler Dambray den Vorsitz führte. Angesichts einer bestätigten und eingestandenen Tatsache nahmen sie nur zwei Tage in Anspruch. Vergebens verbanden sich mehrere Pairs, wie Desèze, de Lally-Tollendal, Dubouchage und de Montmorency, mit dem ehrwürdigen Kanzler, um Louvel mit Fragen in die Enge zu treiben. Er widersprach sich nicht in seinen Antworten und behauptete dieselbe Haltung wie beim Verhör.
Die Aufgabe des Staatsanwalts war leicht und beschränkte sich nur auf einen kurzgefaßten Strafantrag; die des Verteidigers war unmöglich; er konnte nur eine geistige Verirrung dieses Unglücklichen vorschützen, der von der Demagogie irregeleitet worden sei. Damit war aber Louvel, der bis zum letzten Augenblicke mit seinem Verbrechen prunken wollte, durchaus nicht einverstanden. Nachdem der Advokat gesprochen hatte, erhob er sich und las mit der größten Ruhe folgende Rede ab, die er im Gefängnis aufgesetzt hatte:
»Ich habe heute über ein Verbrechen zu erröten, das ich allein verübte. Sterbend habe ich den tröstlichen Glauben, daß ich weder mein Volk noch meine Familie entehrte. Man erblicke in mir nur einen Franzosen, der sich, seiner Überzeugung treu, dem Tode weihte, um einen Teil der Männer, welche die Waffe gegen das Vaterland ergriffen, zu vernichten. Ich bin angeklagt, einem Prinzen das Leben geraubt zu haben; ich bin allein schuldig. Unter den Männern, welche zur Regierung gehören, gibt es aber ebenso schuldige wie ich. Meiner Ansicht nach haben sie die Verbrechen zu Tugenden gestempelt; selbst die schlechtesten Regierungen, die Frankreich gehabt hat, bestraften doch stets die Männer, welche das Vaterland verrieten oder gegen die Nation Krieg führten.
Meiner Ansicht nach müssen die Parteien im Innern, sobald fremde Heere das Vaterland bedrohen, mit ihren Wettkämpfen aufhören und gemeinsame Sache machen, die Feinde aller Franzosen zu bekriegen. Die Franzosen, welche sich nicht verbünden, sind schuldig. Meiner Ansicht nach ist auch derjenige Franzose schuldig, welcher seine Waffen mit den Waffen fremder Heere gegen die Waffen Frankreichs vereinigt, selbst wenn er durch eine ungerechte Regierung aus Frankreich vertrieben wurde. In der Eigenschaft als französischer Bürger kann er nicht wieder zurückkehren.
Ich bin der Meinung, daß, wenn die Schlacht bei Waterloo verhängnisvoll für Frankreich gewesen, der Grund nur darin lag, daß zu Gent und Brüssel Franzosen lebten, welche die Armeen zum Verrat trieben und den Feinden Hilfe leisteten.
Meiner Meinung nach und meinem Systeme gemäß war der Tod Ludwigs XVI. notwendig, weil die Nation dareinwilligte; anders, wenn eine Handvoll Ränkeschmiede in die Tuilerien gedrungen wären und ihm das Leben geraubt hätten. Da aber Ludwig XVI. und seine Familie lange Zeit in Haft blieben, so muß man wohl annehmen, daß dies mit Zustimmung der Nation geschah. Wäre es nur durch einige Menschen bewirkt worden, so würde er nicht umgekommen sein, die ganze Nation hätte sich seinem Tode widersetzt. Aber heute wollen die Bourbons Herren der Nation sein, während sie in Wahrheit Verbrecher sind und die Nation entehrt wäre, wenn sie sich durch dieselben regieren ließe.«
Das System Louvels war wenig nach dem Geschmack der hohen Versammlung; diese gelehrte Verteidigung des Königsmordes nach der Mordtat, diese kaltblütige Beleidigung des regierenden Hauses, nachdem eines seiner Mitglieder ermordet worden, rief auf allen Bänken des Gerichtshofes einen Schauder des Abscheus hervor.
Indem man sich der edlen Worte des Geopferten erinnerte, welcher mit dem letzten Atemzuge um Gnade für seinen Mörder gebeten, erhöhte sich der Unwille gegen den letzteren, den eine so großmütige Verzeihung nicht rühren und von seinem engherzigen und beschränkten Patriotismus abbringen konnte.
Der Staatsanwalt und der Verteidiger suchten in ihren Repliken den letzten Widerhall dieser abscheulichen Worte zu vernichten.
Nachdem die Verhandlung geschlossen war, wurde Louvel in die Conciergerie zurückgeführt, und der Gerichtshof trat zur Beratung zusammen. Wie sich denken läßt, dauerte diese Beratung nicht lange; der Angeklagte wurde einstimmig zum Tode verurteilt. Der Sekretär der Kammer begab sich darauf in das Gefängnis, um ihm sein Urteil zu verkünden; er hörte es mit Ruhe vorlesen.
»Desto besser,« sagte er; »ich sterbe gern. Wenn man mir die Gnade bewilligte, um welche der Herzog von Berry gebeten hat, so würde es mir schmerzlicher als der Tod selbst
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