Tagebücher der Henker von Paris
welcher er zärtlich zugetan schien, zurückfallen würde. Die Sanftmut seiner Mienen und seiner Sprache rührte tief. Man konnte kaum glauben, daß er so viel Verderbtheit im Herzen gehegt habe.
Am Fuße des Schafotts umarmte er den Abbé Montés, der ihm das Kruzifix zum Kusse hinhielt, und überlieferte sich selber dem Gehilfen, der bereit stand, ihn auf das Brett zu binden.
Es schlug halb vier Uhr, als sein Kopf in den verhängnisvollen Korb fiel.
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Bei Beginn des Jahres 1828 fand die öffentliche Ausstellung des Abbé Joseph Contrafatto statt, eines Priesters aus Piazza in Sizilien gebürtig, welcher durch Urteilsspruch des Pariser Assisenhofes vom 16. Oktober 1827 zu lebenslänglicher Strafarbeit, einer Stunde Prangerausstellung und zur Brandmarkung mit den Buchstaben T. F. verurteilt wurde, und zwar wegen einer Unzüchtigkeit, die er als katholischer Geistlicher an einem fünfjährigen Mädchen verübt haben soll.
Die Haltung dieses unglücklichen Geistlichen war voll Ergebung und christlicher Demut, doch nicht ohne Würde. Die um den Pranger versammelte Volksmenge überhäufte ihn mit Schmähungen und Schimpfreden.
»Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!« wiederholte er unaufhörlich, die Augen bescheiden niedergeschlagen, mit einer sanften Stimme, welche noch durch seinen italienischen Akzent einen gewissen Reiz erhielt.
Erzürnt über die feigen und groben Beleidigungen seitens der gemeinen Menge, die von dem dummen Priesterhaß, der traurigen Krankheit jener Zeit, beseelt war, näherte ich mich auf einen Augenblick dem armen Abbé und sagte zu ihm:
»Mut und Geduld, mein Herr! Sie werden bald von diesen herzlosen Leuten befreit werden.«
»Wie sollte ich mich beklagen, mein Freund,« entgegnete er, »am Pranger zu stehen, da unser Heiland ans Kreuz geschlagen wurde?«
Contrafatto hatte den Ausdruck der Unschuld im Blick. Von dem Tage seiner Ausstellung schreibt sich die Teilnahme her, welche er zwei frommen Frauen, Mutter und Tochter, einflößte, die sich, ebenso wie Henriette Leglos für Latude, unaufhörlich seiner Befreiung widmeten.
Durch einen jener erstaunlichen Umstände, welche sich in irdischen Angelegenheiten zuweilen ereignen, fanden sie einen tätigen und standhaften Helfer in dem Advokaten des Zivilgerichts, welcher zu seiner Verurteilung beigetragen hatte. Ledru, so hieß dieser Advokat, war seit jener Verurteilung von mächtigen Zweifeln über die Schuld Contrafattos ergriffen worden. Er gewann die Überzeugung, daß Contrafatto verleumdet worden sei, daß die Mutter des kleinen Mädchens, welches jener Unglückliche gemißbraucht haben sollte, selber eine Frau von zweifelhafter Sittlichkeit sei und daß die Zeugen, aus Haß gegen das Priesteramt des Angeklagten, mit Parteilichkeit ausgesagt hatten.
Seitdem versäumte er keine Mühe und keinen Schritt, um das Unglück, dessen Verschuldung er sich vorwarf, wieder rückgängig zu machen.
Allmählich wurde Contrafattos Schicksal gemildert, und endlich erhielt dieser unglückliche Priester die Freiheit wieder, nachdem er siebzehn Jahre im Bagno zugebracht hatte. Sein großmütiger Befreier wurde durch seinen Eifer und den Erfolg seiner Bemühung dermaßen bloßgestellt, daß er seine Stellung als Advokat aufgeben mußte. Um die Rehabilitation des Mannes, den er als sein Opfer betrachtete, vollständig zu machen, hatte er sich zu unvorsichtigen Erklärungen verleiten lassen, so daß er von der Liste der Advokaten gestrichen wurde. Es blieb ihm nur der Trost, das Unglück, als dessen Urheber er sich anklagte, soviel wie möglich rückgängig gemacht zu haben.
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Am Donnerstag, dem 30. August 1832, kam die Reihe an einen jungen, aber großen Verbrecher, dessen tragisches Schicksal unendliche Teilnahme erweckte. Nicolas Theodore Frédéric Benoît, der Sohn eines achtbaren Friedensrichters von den Ardennen, wurde vor Gericht gestellt, um über zwei vor achtzehn Monaten begangene Mordtaten Rechenschaft abzulegen; der Vater war erschienen, um die Unschuld des Sohnes zu beweisen.
Diejenigen, welche die genaueren Umstände dieser Angelegenheit, wodurch die Abscheulichkeit einer verderbten Natur in das hellste Licht gesetzt wird, kennenlernen wollen, verweise ich auf A. Fouquiers berühmte Rechtsfälle. Es möge hinreichen, zu erwähnen, daß die erste der Mordtaten, welche Benoît zur Last gelegt wurde, an seiner eigenen Mutter vollzogen war, welche er erwürgt hatte, um ihr einen Beutel mit
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