Tagebücher der Henker von Paris
viertausend Franken zu entwenden.
Das Verbrechen war so abscheulich, daß der Verdacht nicht sogleich auf den wirklichen Schuldigen gelenkt wurde; man wich vor dem Gedanken zurück, daß ein aus ehrenhafter Familie entsprossener, wohlerzogener junger Mann von neunzehn Jahren eine solche Verderbtheit zeigen könnte. Ein schwerer Verdacht lenkte sich im Gegenteil auf einen Landbewohner, der mit Benoît dem Vater, dem Gatten des Opfers, in unfreundlicher Beziehung stand; es erhoben sich sogar so schwere Verdachtsgründe wider ihn, daß er nur durch ein Wunder der Verurteilung entging. In der Tat wurde er nur durch einfache Majorität freigesprochen und blieb in der öffentlichen Meinung noch immer der Ermordung der Frau Benoît verdächtig.
Während dieser Zeit war Frédéric zuerst nach Nancy und darauf nach Paris geschickt worden, wo sein Vater ihn zum Notar ausbilden lassen wollte. Er wechselte mehrere Studien nacheinander, verbrachte seine Zeit in Vergnügungen und Ausschweifungen und gab beträchtliche Summen aus, ohne daß man wußte, auf welche Weise er sich das Geld verschaffte.
Die Ausschweifungen Benoîts waren von besonderer Art. Dieser Unglückliche frönte einem Laster, welches den Gesetzen der Natur Hohn spricht. Damals gab es in Paris ein verborgenes Haus, welches zu diesen unflätigen Orgien bestimmt war. Dort traf Benoît mit einem jungen Manne zusammen, welcher demselben Laster anheimgefallen war; er nahm ihn aus dem abscheulichen Hause, um ihn zu seinem täglichen Gefährten zu machen und seine Wohnung mit ihm zu teilen.
Im Anfange der schimpflichen Verbindung dieser beiden jungen Leute gab es kein Geheimnis zwischen ihnen, und es ist anzunehmen, daß Benoît seinem Freunde vertraulich mitgeteilt habe, daß er der Mörder seiner Mutter sei, wenn man nicht der wahrscheinlicheren Vermutung Raum geben will, daß ihm das schreckliche Geständnis in der Nacht während des Schlummers und unter den Träumen, welche den Schlaf eines schuldigen Gewissens quälen, entschlüpft sei. Kurz, Joseph Formage, Frédérics Freund, wurde Vertrauter des verhängnisvollen Geheimnisses.
Wenn schon die natürlichen Zuneigungen nicht immer gegen die Prüfungen der Zeit und der Gesellschaft stichhaltig sind, wie sollte es mit jenen der Fall sein, welche ihre Quelle in der abscheulichsten Sinnenverirrung haben? Benoît wollte eine Verbindung auflösen, welche drückend für ihn wurde, und sich neuen Ausschweifungen hingeben. Dazu fehlte es nicht an einem Vorwande; von seinem Vater nach Vouziers zurückberufen, ergriff er bereitwillig die Gelegenheit, sich von Formage zu trennen. Dies kam aber letzterem sehr ungelegen, der, an Nichtstun gewöhnt, die Hilfsmittel zu seinem Müßiggang verlieren sollte.
Kaum war Frédéric zu Hause angelangt, als er von dem verlassenen Freunde mit schriftlichen Bitten um Geldunterstützung bestürmt wurde. Die ersten Briefe waren höflich und freundschaftlich; da Benoît jedoch, weil er wußte, daß sie sich erneuern würden, wenn sie Erfolg hätten, nicht darauf antwortete, so nahm Formage endlich einen drohenden Ton an und erklärte, daß, wenn sein Gesuch nicht befriedigt würde, er nach Vouziers kommen und das Geheimnis, dessen Mitwisser er sei, entdecken würde.
Frédéric hielt sich für verloren, und es ist zu begreifen, daß der Elende, der nicht zurückgeschaudert war, um einiger tausend Franken willen seine Mutter zu ermorden, auch vor einem zweiten Verbrechen nicht zurückwich, um die Strafe von sich abzuwenden und das Schwert des Damokles, welches über seinem Haupte schwebte, auf immer zu beseitigen.
Benoît eilte also nach Paris, stellte sich freundlich gegen Formage, nahm ihn unter dem Vorwande einer Vergnügungspartie mit sich nach Versailles und erwürgte ihn in einem Hotelzimmer, gleichwie er seine Mutter erwürgt hatte.
Was er für seine Rettung gehalten, bewirkte aber gerade seinen Untergang.
Benoît war am Abend vor dem Verbrechen in Paris und an dem Tage des Mordes selbst in Versailles in Formages Gesellschaft gesehen worden; obgleich er das Hotel, wo er den Mord begangen, ohne Hindernis verlassen hatte, wurde er drei Tage später als vermutlicher Täter verhaftet.
Die Untersuchung häufte die erschwerendsten Verdachtsgründe gegen ihn; alle Zeugenaussagen vereinigten sich, ihn anzuklagen; Formages Brief, von dem man ein Konzept unter den Papieren des Unglücklichen vorfand, stürzte ihn vollends in den Abgrund, indem er den Zweck seines zweiten Verbrechens
Weitere Kostenlose Bücher