Tagebücher der Henker von Paris
enthüllte, der nur darin bestanden hatte, den gefährlichen Mitwisser des Muttermordes auf die Seite zu schaffen.
Benoît leugnete nachdrücklich beide Mordtaten, welche ihm zur Last gelegt wurden, ab; er zeigte bei seiner Verteidigung ebensoviel Geschicklichkeit, als er bei der Ausübung seiner Verbrechen kundgegeben hatte. Er hatte es jedoch mit einem furchtbaren Gegner zu tun. Der Landbewohner aus Vouziers, welcher ursprünglich angeklagt gewesen und in der öffentlichen Meinung noch in Verdacht stand, den Mord an der Frau Benoît begangen zu haben, war als Belastungszeuge aufgetreten und hatte dem Advokaten Chaix d'Est-Ange den Auftrag erteilt, den Schrei der verleumdeten Unschuld vor dem Gerichtshof geltend zu machen, das heißt Benoît anzuklagen.
Benoît wurde zum Tode der Vatermörder verurteilt, das heißt, im Hemde, barfuß und den Kopf mit einem schwarzen Schleier verhüllt, zum Tode zu gehen. Nichtigkeitsbeschwerde, Gnadengesuch, alles wurde verworfen; die Bitten seiner Familie vermochten nicht, sein Schicksal zu erleichtern.
Als wir ihn aus Bicètre abholen wollten, um ihn zuzurüsten, war er noch nicht in den dazu bestimmten Saal eingetreten, doch hörten wir ihn schon durch die dicken Mauern und Türen ein gellendes Geschrei ausstoßen, als man ihm sagte, daß er nur noch wenige Augenblicke zu leben habe.
Bald darauf erschien er, von zwei Gefangenenwärtern unterstützt, denn die Beine brachen unter ihm zusammen. Er war der erste Verurteilte, den ich in solcher Schwäche erblickte.
Er ließ sich das Haar abschneiden, ohne ein Wort zu sprechen; nur von Zeit zu Zeit drang ein Schluchzen aus seiner Brust, und reichliche Tränen entrannen seinen Augen. Als er, dem Urteilsspruche gemäß, seiner Kleider und Schuhe entledigt werden sollte, stieß er abermals ein unmenschliches Geschrei aus. Niemals hörte ich einen solchen Ausdruck des Schreckens. Die einzigen Worte, die man unter diesem kläglichen Geheul hören konnte, waren:
»Gnade! Mitleid! Ich bin unschuldig! Führen Sie mich nicht fort!«
Er wollte sich aufrichten, sank aber dann wieder vernichtet den Gehilfen in die Arme. Man verhüllte ihm das Gesicht mit dem Schleier der Vatermörder; darauf gingen wir fort.
Unterwegs verlor er zu wiederholten Malen die Besinnung, aber immer erholte er sich wieder und sagte weinend:
»Die Herren Persil und Chair d'Est-Ange sind an meinem Tode schuld. Ach, meine arme Mutter! Joseph, du weißt wohl, daß ich unschuldig bin; warum kommst du nicht und sagst es?«
Der würdige Priester, welcher ihn begleitete, benutzte diese seltenen lichten Augenblicke, um mit ihm von Gott zu sprechen und ihn zu ermahnen, die Geständnisse abzulegen, welche allein sein Gewissen erleichtern könnten. Benoît hörte ihn kaum an und schien nur mit dem Gedanken beschäftigt, auf welche Weise er der schrecklichen Strafe, die ihn erwartete, entrinnen könnte. Dennoch, sobald er nur von weitem die unbestimmten Umrisse der Guillotine an der Barrière von Arcuel bemerkte, mochte er einsehen, daß alle Hoffnung verloren sei, und das Vertrauen auf das physische Leben, welches jeder solange wie möglich zu bewahren sucht, schien plötzlich zu schwinden. Er fiel aufs neue in Ohnmacht, aber nur auf kurze Zeit. Als er an dem Orte der Hinrichtung ankam, nahm er anstatt des Mutes jene Ergebung an, welche ein unvermeidliches Geschick verleiht. Auf den Tritt der Kutsche niederkniend, legte er seinem Beichtiger das Geständnis der Verbrechen ab, die er jetzt schmerzlich büßen sollte.
Dieses vor Gott abgelegte Geständnis hörte ich ohne meinen Willen. Benoît machte es zwar mit ganz leiser Stimme und glaubte nur von dem frommen Priester, an den es gerichtet war, gehört zu werden; ich vernahm es aber mit nicht geringer Begierde.
Soll ich es gestehen? Bis dahin hatte ich noch die Unschuld des Unglücklichen für möglich gehalten, keiner von den aufgestellten Beweisen gegen ihn schien mir den bestimmten Charakter zu haben, der allein ein Todesurteil rechtfertigen kann. Nach meiner Meinung hatte ein undurchdringliches Dunkel diese Sache umhüllt, und mit innerer Befriedigung hatte ich zur Ehre des menschlichen Geschlechts an der Wirklichkeit eines so gräßlichen Verbrechens, wie der Muttermord, gezweifelt; ich wurde grausam enttäuscht.
Benoît stieg, von den Gehilfen unterstützt, aus der Kutsche und stieß wieder jenes schreckliche Geheul aus, mit welchem er die Stimme des Gerichtsschreibers, der das Urteil verlesen, übertönt hatte. Man
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