Tagebücher der Henker von Paris
verteidigen. Die Nachsicht, welche die Knechte in dem Kampfe gegen ein Weib ausübten, wußte die Gräfin nur zu gut zu benutzen; sie lähmte lange Zeit alle ihre Bestrebungen, und infolge des furchtbaren Ringens konnte nur sehr unvollkommen die linke Schulter der Verurteilten gebrandmarkt werden.
Endlich war der Gerechtigkeit genug getan. Frau de la Motte wurde in einen Wagen gesetzt und nach Salpêtrière [8] gebracht. In dem Augenblick, wo man sie aus der Kutsche hob, versuchte sie sich unter die Räder zu stürzen, und einige Minuten nachher wollte sie sich ersticken und steckte sich ihre Bettdecke in den Hals.
Hätte Frau de la Motte gewußt, wie kurze Zeit sie gefangen sein sollte, so würde sie vielleicht geduldiger gewesen sein: denn schon sechs Monate nach ihrer Inhaftierung hörte ihre Einsperrung auf.
Im Monat April gelang es ihr zu entwischen. Vielleicht, daß die Regierung ihre Flucht in der Furcht erleichtert hatte, Herr de la Motte, der nach London entkommen war, würde aus der Schule schwatzen und dort unangenehme Aufschlüsse über das Pariser Kabinett geben; vielleicht, was sehr wahrscheinlich ist, daß Herr de la Motte die Gefängniswärter bestochen hatte; vielleicht auch, daß irgendeine der Zuchthäuslerinnen, bei denen sich die größte Verderbtheit der höchsten Achtung erfreut, leidenschaftliche Liebe zu der traurigen Heldin gefaßt hatte – kurz, Frau de la Motte und mit ihr eine andere Gefangene des Zuchthauses entkamen aus Salpêtrière.
Eines Tages sah die unter dem Fenster der verhafteten Gräfin aufgestellte Schildwache eine Person auf sich zukommen, welche kurz vorher noch mit einer der bedienenden und darum frei umhergehenden Zuchthäuslerinnen gescherzt hatte. Besagter Mensch trug einen königsblauen Überwurf, darunter ein schwarzes Wams und schwarze Beinkleider, Schnürstiefel, einen runden, hohen Hut, weiße Lederhandschuhe und in der einen Hand eine Reitgerte. Unter dieser Verkleidung steckte Frau de la Motte, und vermöge ihrer Geistesgegenwart, ihres Mutes, ihrer Sicherheit und wohl auch infolge der trefflich gewählten Maske gelang es ihr, aus dem Zuchthause zu entkommen und nach London zu ihrem Gatten zu gelangen.
Das Autodafé auf der Place de Saint Louis in Versailles
Meister Mathurin
Finanzielle Notlage Frankreichs; die Neuerer; die Notablenversammlung.
Im Jahre 1788 wurde die Strafe des Räderns in Frankreich zum letztenmal verhängt. In folgendem will ich über diesen Fall etwas Näheres berichten.
Zu Versailles, in der Rue de Montreuil, wohnte ein Hufschmied namens Mathurin Louschart. Das war noch so einer aus der alten Zeit, ein echter Handwerksmann von einst, mit allen Vorurteilen und Abneigungen eines solchen, voller Zunfthaß und Innungsdünkel.
Ganz durchdrungen von den Vorzügen seines Handwerks vor allen anderen, hatte er noch nie daran gedacht, sein dickes, fahlledernes Schurzfell, welches ihm bis an die Knöchel reichte, mit dem langen Rock eines Gerichtsbeamten oder dem kleinen, kurzen Wams eines Abbé zu vertauschen. Trotz seiner schlichten Tracht und vielleicht gerade wegen seiner patriarchalischen Sitten hatte Mathurin etwas unbeschreiblich Würdevolles an sich. Seine ganze Stellung und seine Gebärden, wenn er das Eisen mit der Zange auf dem Amboß herumdrehte, ihm durch den Hammer die gehörige Form gab, es streckte, bog und rundete, zeigten so viel Gewandtheit, Kraft, Sicherheit der Hand und sogar Zierlichkeit, daß man wohl schwer heutzutage ihresgleichen finden dürfte.
Da nun aber Mathurin so ganz ein Mann von altem Schlag war, haßte er natürlich den neuen Zeitgeist. Die Montmorencys, die Rohans seines Zeitalters hatten lange nicht den Widerwillen gegen die allgemach in die Mode kommende Gleichheit der Stände wie er. Der alte Hufschmied Louschart betrachtete diese Neuerung als eine nur in der Einbildung von Toren beruhende Erfindung, und so sagte er denn auch: man solle nur ruhig dem Esel die Ohren verkürzen, es würde doch nimmer ein Pferd daraus werden.
Meister Mathurin war reich; er hatte es für seine Pflicht gehalten, wenigstens betreffs der Erziehung seinen Sohn die Vorzüge seines Wohlstandes genießen zu lassen.
Demzufolge war Louis auf dem Collège du Plessis erzogen worden, ganz so wie die anderen dort befindlichen Söhne reicher Bürger.
Scheinbar im Gegensatz zu dem vorigen glaubte jedoch der Hufschmied zufolge seiner Ansichten von gesellschaftlichen Fragen, vielleicht auch nach der Vorliebe für seinen Stand, daß der
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