Tagebücher der Henker von Paris
aufgenommen.
Nachdem der König schon so unklug gewesen war, nicht mit aller Gewalt einen Prozeß zu ersticken, wo ein sehr vornehmer Name mit Betrügern und Diebinnen der gemeinsten Gattung in nahe Berührung kommen mußte, fügte er gar noch die Torheit hinzu, in allen seinen Verordnungen und Erlassen die persönliche Feindschaft gegen den Kardinal de Rohan durchblicken zu lassen. Diese offenbar hier nicht gerechtfertigte Anfeindung mußte dem Groß-Almosenier allgemeines Mitgefühl erwecken, dessen er sich sonst nimmer würdig gemacht und das er auch niemals erworben hätte. Die öffentliche Meinung sah in dem Urteil des Parlaments, welches die in den königlichen Briefen erlassene Anklageakte außer Kraft setzte, einen ersten Sieg über die Unbeschränktheit der Herrschermacht und pflichtete in jeder Hinsicht dem Widerstand der Vertreter des Gesetzes gegen den so deutlich ausgesprochenen königlichen Willen bei, freilich vielleicht schon deswegen, weil es überhaupt ein Widerstand war.
Die Richter wurden so gefeiert, schreibt Herr Baron de Besenval, und so mit Lobes- und Ehrenbezeigungen bestürmt, daß sie nur mit großer Mühe sich durch den versammelten Volkshaufen einen Weg bahnen konnten, als sie nach beendigter letzter Session vom Parlamentshause zurückkamen. Erst am 21. Juni gab Herr de Fleury dem Henker das Urteil. Gleichzeitig ermahnte er ihn, alles so einzurichten, daß nur ja jedes Aufsehen vermieden würde.
Charles Henri Sanson erkundigte sich hierauf bei dem Gefängniswärter nach den Gewohnheiten der Frau de la Motte und vernahm über dieselbe, daß sie mit seiner Frau besonders gut stehe und die Frau Gräfin denn auch in ihrer Gefangenschaft bediene.
Den Vorschriften des Scharfrichters gemäß begab sich eines Morgens die Gefängniswärterin in die Zelle der Verurteilten und meldete ihr, daß jemand aus dem Palast nach ihr frage.
Frau de la Motte lag auf ihrem Ruhebett; infolge der mehrfach wiederholten Mitteilung wandte sie sich um und sagte:
»Man möge wiederkommen; ich habe diese Nacht nicht schlafen können und will nun am Morgen wenigstens ausruhen.«
Unterdessen war aber auch Charles Henri Sanson zu einer Seitentür eingetreten, hatte die Türen verschlossen und hielt nun auf der Schwelle zu dem Zimmer der Gräfin Wache.
Frau de la Motte blieb vor ihm stehen und betrachtete ihn mit funkelndem Blick.
Die Gräfin, sagt mein Großvater, war eine sehr gut gebaute Person, jedoch mehr stark als mager. Ihr Gesicht konnte man trotz der Unregelmäßigkeit der Züge schön nennen. Die Nase glich der eines Wiesels auf ein Haar, der so ausdrucksvolle Mund war groß, fast zu groß, und die Augen, die wie Brillanten strahlten, hatten das zu wenig, was der Mund zu viel besaß; bei alledem aber ließen Frau de la Motte die Pracht und Fülle ihres Haares, die Weiße ihrer Haut und die angeborene Zierlichkeit, Grazie und Feinheit in allen ihren Bewegungen bemerkenswert erscheinen. Die unglückliche Frau war auch in der Gefangenschaft noch sich der Bedeutung ihres Äußeren bewußt. An dem obenerwähnten Morgen trug sie ein geschmackvolles seidenes Hauskleid mit braunen Streifen und kleinen weißen Rosenbuketts und auf dem Kopfe ein kleines niedliches Spitzenhäubchen, welches die prächtige Haarfülle in angenehmer Weise hervorhob.
Während Charles Henri Sanson von der Gräfin mit dem drohenden Auge einer gereizten und zum Sprunge bereiten Löwin betrachtet wurde, hatten dieselbe einstweilen die Henkersknechte und noch vier andere Gehilfen umringt. Frau de la Motte schien bei sich selbst die Ungleichheit des Kampfes zu erwägen und sah ein, daß sie unterliegen müßte. Da öffneten sich ihre Nasenlöcher, sie fing an zu keuchen, und nach einer kleinen Pause fragte sie meinen Großvater, der den Hut vor ihr abgenommen hatte:
»Was wollen Sie von mir?«
»Sie sollen Ihr Urteil hören, Madame!« antwortete der Henker.
Bei diesen Worten sah man ein Zittern über den ganzen Körper der Gräfin gehen, ihre geballten Hände lösten sich und die Finger begannen ängstlich mit dem breiten Bande zu spielen, welches schärpenähnlich ihrem Überwurf als Gurt diente. Eine Minute blieb die Dame nachdenklich und mit niedergeschlagenen Augen stehen, dann erhob sie stolz das Haupt und sagte:
»Wohlan denn, lassen Sie uns gehen!«
Die beiden Henkersknechte, welche sie zuerst an den Armen ergriffen hatten, näherten sich wieder, aber Frau de la Motte stieß sie mit der verächtlichen Gebärde einer vornehmen
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