Tagebücher der Henker von Paris
junge Mann gar keinen anderen Lebensberuf haben und wählen könne, als denjenigen, welchen bisher alle seine Vorfahren bekleidet hatten.
»Seitdem die Welt steht,« sagte Meister Mathurin sehr oft, »sind die Louscharts Hufschmiede gewesen; wenn einmal einer von ihnen Kaufmann oder Notar werden sollte, so kann der Weltuntergang nicht mehr fern sein.«
Zuerst mochte es wohl dem Schüler des Collège du Plessis schwer genug geworden sein, seine ruhigen Studien, die Schulkameraden und jenen Vorgeschmack eines vornehmen und angenehmen Lebens aufzugeben, um das Handwerkerkleid und das rohe Schurzfell anzulegen, glühendes Eisen zu bearbeiten, an dem Blasebalg tätig zu sein und so mitten unter Arbeit und zweifelhaften Freuden das Geschäft seines Vaters zu teilen. Es läßt sich wohl denken, daß das Rauhe in dem neuen Beruf, welcher doch gar so wenig mit der bisherigen Beschäftigung des Studierenden im Einklang stand, zuerst seine Seele mit einem gewissen Schauder vor der neuen Bestimmung erfüllt haben mochte. Aber Louis war von Kindheit auf an eine blinde Unterwerfung unter den väterlichen Willen gewöhnt. Dann war aber auch die Freude, mit der Meister Mathurin seinen verständigen Nachfolger im Amte begrüßte, so aufrichtig, der gute Alte ein so beredter Lobredner seines Handwerks, daß sich der junge Louschart schon entschließen mußte, in den für ihn gewählten Stand zu treten.
Zu seinem Unglück verstand der junge Mann es nicht, die philosophischen Meinungen, welche ihn unaufhörlich mit den Grundsätzen seines alten, strengen Vaters in Widerspruch brachten, in sich niederzukämpfen, und so setzte es von jetzt ab manchen harten Zwist mit dem Hufschmied, der seine Ansichten mit nicht geringerer Bestimmtheit und Festigkeit aussprach als das Viergestirn am literarischen Himmel des achtzehnten Jahrhunderts. [9]
Der junge Mann hatte den väterlichen Stolz geerbt doch war dies Gefühl bei ihm, wenn es bei seinem Vater in Grobheit oder Spott ausartete, vermöge seiner Erziehung zu einem ernsten Selbstbewußtsein geworden.
Jean Louis wurde in seinen Ansichten immer noch mehr befestigt. Allmählich erfaßte auch ihn das Revolutionsfieber, welches in dem Luftkreis jener Zeit lebte.
Der junge Louschart besaß stets zu viel Achtung vor seinem Vater, um nicht seine geheime Gesinnung zu verbergen und zu verschweigen; aber einmal gemachte Beobachtungen hatten den alten Hufschmied aufmerksam und argwöhnisch gemacht.
In der Stellung, im Lächeln, selbst im Schweigen seines Sohnes fand er die Ideen der neueren Zeit vertreten, und er gewöhnte sich, aus Blicken wie aus einem offenen Buche zu lesen. Alsdann, da er nicht schweigen konnte, brachte er das Gespräch stets auf den ersten, schon bekannten Gegenstand zurück. Die Mäßigung und Würde des Jungen entwaffneten den Alten nicht mehr; er gewöhnte sich daran, ihn weniger als Sohn, vielmehr als einen Gegner zu betrachten. Sein Geschmack an Wortgefechten hatte zugenommen. Ein Feind, der sich ergab, ohne sich für besiegt zu erklären, war nicht seine Sache. Des alten Mathurin Kampfeswut bedurfte jemandes, mit dem er ringen, dem er das Bein stellen, den er niederschlagen konnte, und wie die Stierkämpfer, wendete er Eisen und Feuer an, die verletztendsten Worte, um nur Jean Louis zum Sprechen und Streiten zu bringen.
So verwickelt die Sachlage schon war, durch scheinbar mit diesem Hause in gar keiner Verbindung stehende Ereignisse wurde sie es noch mehr.
Durch die wachsende Staatsschuld gedrängt, der man überdies in keiner Weise mehr begegnen konnte, rief das Ministerium die erste Notablenversammlung [10] zusammen, um neue Abgaben auszuschreiben.
Um den Bedürfnissen des Staatshaushalts wenigstens für den Augenblick zu genügen, führte der König bedeutende Einschränkungen am Hofe ein.
Meister Mathurin Louschart wurde von den neuen Bestimmungen nicht gerade in eigener Person betroffen, und nur seine Kundschaft litt unter ihnen; indessen so viel Personen bei dem Hufschmied arbeiten ließen, es gab doch keinen, der von dem ganzen Ereignis so heftig erregt worden wäre, als er.
Als er sich vergegenwärtigte, wie langmütig der König doch gewesen sei, daß er sich so des schönsten seiner Vorrechte begab, wurden ihm die Augen naß. Er hob seine schwarzen, schwieligen Hände zum Himmel und, als wenn die Wolke, welche seinen Augen die Zukunft verhüllte, plötzlich von unsichtbarer Hand zerrissen worden wäre, rief er mit kläglicher Stimme:
»Armer König, wohin
Weitere Kostenlose Bücher