Tagebücher der Henker von Paris
bisher noch ganz unerhörte Szene.
Ein zum Tode Geführter kämpfte gegen seine Befreier und stieß sie zurück. Er tadelte diese Leute, daß sie ihn der Strafe, die er mit Recht verdient zu haben glaubte, entziehen wollten, er wendete sich zu seinen Henkern, rief sie zu Hilfe, er bat sie sogar in dem ängstlichsten Tone, mit dem man sonst um das Leben fleht, um seine Hinrichtung, welche seine kindlich fromme Liebe zur Sühne für notwendig erachtete.
Aber schon hatten ihn seine Freunde umgeben. Ihre vereinten Bemühungen trugen über seinen Widerstand den Sieg davon, und sie brachten ihn in sicheren Gewahrsam.
Bei allen diesen Vorgängen wurde die Lage meines Großvaters eine sehr unbehagliche und unsichere. Getrennt von seinen Leuten, umgeben von einer über ihren leichten Sieg freudetrunkenen und rohen Volksmenge, die ihn nur als Henker kannte und deren ganzes Bestreben nur auf seinen und der Seinigen Tod gerichtet zu sein schien, blieb Charles Henri Sanson nur das eine übrig: sein Leben so teuer als möglich zu verkaufen.
Sein Gesicht drückte ganz klar die feindseligen Gedanken aus welche ihn im Innern beschäftigten; so klar, daß der riesenhafte Grobschmied, der den unschuldig Verurteilten befreit hatte, sich ihm näherte, ihn am Arme ergriff und ihm zuschrie:
»Hab keine Furcht, Schinder; [11] wir wollen nicht dich, sondern dein Handwerkszeug. Merke dir es wohl, Schinder, wenn du Kundschaft hast, so mußt du sie töten, um sie aus dem Wege zu räumen, aber nicht auf das Schafott schleppen, um sie zu quälen! Überlassen wir die Höllenqualen dem lieben Gott! Hörst du wohl, Schinder?!«
Und sich zu dem Volkshaufen wendend, rief der Grobschmied mit lauter Stimme:
»Laßt ihn hindurch und merkt euch wohl, daß, wer irgend etwas gegen den Schinder sagt, für einen Gebrandmarkten, der sich jetzt rächen will, gehalten werden wird!«
Auf diese kluge Drohung öffneten sich die Reihen, und mein Großvater entrann.
In kürzerer Zeit, als man es niederschreiben kann, waren das Schafott und all das schreckliche Zubehör in tausend Stücke zertrümmert. Man warf die Überbleibsel in den für den Leichnam des Hingerichteten bestimmten Scheiterhaufen, oben darauf das grauenhafteste aller Henkerwerkzeuge, das Rad, den letzten Vertrauten so vieler Dulder. Das Feuer schlug bald und wie frohlockend über den Schandwerkzeugen zusammen; Männer und Frauen bildeten, sich an der Hand haltend, eine unermeßliche Kette, deren letzte Glieder so fern waren, daß sie kaum die Glut des Brandes sehen konnten. Die dem Scheiterhaufen zunächst stehenden Kreise jubelten laut auf, wenn der Brand immer von neuem aufflammte, und die Freude pflanzte sich wie ein elektrischer Funke von einem zum anderen fort, daß der Platz und die daranstoßenden Straßen bald widerhallten von unermeßlichem Jubelgeschrei. Bis gegen Mittag hin tobte das Volk, und hie und da wurden schon die vorderhand noch verpönten, aber bald darauf so gang und gäbe gewordenen Revolutionsgesänge hörbar.
Ich habe dies den Geschichtschreibern unbekannte oder doch wenigstens von ihnen außer acht gelassene Ereignis sehr ausführlich erzählt, jedoch lediglich deswegen, weil ich darin das erste revolutionäre Volksfest zu erkennen glaube.
Vor der Revolution
Der Marquis de Favras
Die Nationalversammlung; die Truppen auf dem Marsfeld; Augeau, de Besenval; der Hof.
In der Geschichte von Jean Louis Louschart hat mich die Natur meiner Erzählung selbst veranlaßt, einen kleinen Überblick über die Stimmung des Volksgeistes und seiner nachmaligen Bestrebungen zu geben. Zwar sind eben diese ersten Regungen schon die sicheren Vorboten der Revolution, aber noch konnte ich sie ohne große Abschweifungen meinem Buche einverleiben. Etwas anderes ist es mit den furchtbaren Ereignissen einer zum Bewußtsein erwachten Nation, der Revolution selbst. Soweit diese nicht irgendwie auf den Gegenstand meiner Schilderung bezug hat, nämlich die Memoiren meiner Ahnen, gestatte man mir, sie mit Stillschweigen übergehen zu dürfen. Übrigens sind sie auch bereits so allgemein bekannt, daß ich den Hauptsachen nach immer nur alte Dinge berichten könnte.
Charles Henri Sanson hatte mit der ganzen klaren Umsicht und Fülle der Überlegung, die man in der Einsamkeit und Zurückgezogenheit erlangt, alle Fortschritte der Revolution beobachtet und verfolgt; die Kämpfe des Königtums gegen das Parlament, die Einführung der Zivilehe, die Notablenversammlungen, alle diese neuen, nichts
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