Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
schrieb, und spricht nur davon, daß nun doch mal endlich untersucht werden müsse, welchen weltweiten Einfluß er, Grass, auf die internationale Literatur gehabt habe; am wichtigsten an der ganzen Rushdie-Sache ist ihm, daß der sich als sein «Schüler» bezeichne. Ich werde allenfalls aufgefordert, da «auch was zu unternehmen» – aber meine Bitte um Mitarbeit am ZEITmuseum wird abgeschlagen: Er habe eben einen Schreib-Block («Du weißt eben nicht, was das ist») und einen Ekel vor dem leeren Papier. In gewisser Weise natürlich tragisch. Aber auch lächerlich in dem paternalen Gehabe, dem «Ute, hol mal den Aschenbecher» und ICH-ICH-ICH-Gerede.
Scheußlich auch, was anderswo diese Rushdie-Sache zutage fördert (Gott behüte einen vor der sogenannten «Solidarität» unter Künstlern – und wenn die Mächtigen das wüßten, würden sie noch weniger drauf geben …). Unseld sagte auf den Vorschlag, den kooperierenden Verlegern beizutreten: «Ich habe das Buch noch nicht gelesen» (als ob es darauf jetzt ankäme), ein Herr Beck vom Beckverlag: «Aber die fangen doch immer von oben an zu töten – und wir fangen mit B an.»
10. März
Denkwürdig, wie Gisela Lindemann vom letzten Tag Jean Amérys erzählte, der ja mit einer «Geliebten» – einer Amerikanerin – in Salzburg war, die von seinem Selbstmordplan wußte und der er auf ihren traurigen Satz «Du wirst uns sehr fehlen» antwortete: «Ich mir auch.» Das geht mir nach – nicht nur, weil er auf den ähnlichen Satz, auf die schamlose Frage eines SPIEGELmenschen «Sie schreiben so viel vom Selbstmord – wann tun Sie es?» antwortete: «Seien Sie doch nicht so ungeduldig»; sondern auch, weil ich ja gerade Abend für Abend in meinen Autographen wühle, dort die wunderschönen Briefe Amérys an mich fand – – – – wie überhaupt ganz erstaunliche Dokumente (auch meines Lebens …). Wußte ja nicht mehr, was alles in den Briefen von Andersch oder Böll oder Breitbach stand …
Nie merkt man sich Träume. Heute morgen aber erinnerte ich mich: Kohl – ausgerechnet!!! – war mein Hausgast, ich wohnte in einem sehr großen eleganten Haus, und er war überraschenderweise recht sympathisch, «einsichtig». Hinterher traf ich in einer Kneipe Augstein mit einer rothäutig-grob gewordenen Maria, deren Stimme laut-ordinär war, die mir eine Picasso-Vase für viel zuviel Geld andrehen wollte und deren Kinder hinterher bei mir zu Hause waren: Jakob bettelte mich um 500 Mark an, der Vater gebe ihm nichts, und Franziska wollte «Schnee». Und Rudolf hatte mir noch einmal – das hat er ja vor vielen Jahren wirklich getan – einen Blankoscheck für DIE SCHÖNE URSULA von Wunderlich geboten, ich könnte jede Summe einsetzen, die ich wolle.
Nun erkläre mir jemand so einen Traum. Komplexe? Machtwahn? Derlei Potenzwahnträume hat man ja auch wachend – z. B. den: Was wäre wohl mit all den pinschernden Feinden und Gegnern, wenn man den Nobelpreis erhielte; wie würden sie kotauen, um Interviews betteln, «schon immer dein bester Freund» gewesen sein. ZU schöne Vorstellung.
Die Realität sieht genau umgekehrt aus: z. B., wie der grauenhafte Kleinbürger im Schwimmbad, der mich fast jeden Morgen verfolgt, früher: «Ich bewundere Sie so» und «Ich lese immer das ZEITmagazin» – nun seit endloser Zeit mit Stentorstimme im Duschraum brüllend: «Da kommt Goethe» und den ganz verdutzten, nichtsahnenden und nichtswissenden und nichtsverstehenden, vollkommen fremden Männern unter der Dusche, mit Shampoo im Haar und nackt eingeseift, schreiend berichtet: «Der da eben rausging, der mit dem Bart, das ist der …» Niemand kennt «den mit dem Bart», und niemand weiß, wer «Raddatz von der ZEIT» ist und was das alles mit Goethe zu tun hat: Er will mich «hetzen» wie den Juden unter der Dusche, dem das Stück Vorhaut fehlt. Ein weiterer Beitrag zur verschlagenen Aggressivität und Hepp-hepp-Mentalität der Kleinbürger.
11. März
Gestern abend spät schriller Anruf aus Californien der Witwe Marcuse, nommé Reinhard Lettau: aufgeregt, als ginge es ums Leben, aber nicht über Rushdie etwa, weil Grass aus der Akademie ausgetreten ist oder auch nur ein «Wie geht’s» – sondern irgendein Niemand namens Lindner oder so ähnlich habe im Deutschlandfunk sein Buch verrissen, und nun sei er «tot, erledigt». Darüber 15 Minuten aus USA – wegen EINER Kritik.
Auf mein «väterliches» «Machen Sie es wie ich, ich sitze gerade bei einem schönen Bordeaux und
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