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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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aussah und wir uns alle vergnügt betranken; seiner Flucht, die ich im Autoradio im Erzgebirge mit Katja Selbmann hörte, in deren – i. e. ihres Vaters – Bonzen-SIS-Limousine wir fuhren; mein heimlicher Besuch bei ihm in München, wohin der anständige Kindler ihn als Chefredakteur von DAS SCHÖNSTE geholt hatte (Besuche, von denen dann später die Herren Geheimdienstler wußten!!!); meine erste Arbeit bei (ausgerechnet auch) Kindler: die Edition seiner Tagebücher; die Entfremdung zwischen Kanto und mir (die ich heute gut, jedenfalls besser als damals) verstehe, weil ich ihn nicht verlegte, nachdem ich Rowohlt-Chef war; meine Rede bei seiner Beerdigung, zu der mir weiland Bucerius gratulierte – – – – schon denkwürdige Etappen alles, auch meines Lebens.
    Und zu denken – in diesen Tagebüchern zu lesen –, WIE elend sie alle lebten im Exil, oft hungernd, ohne Zimmer, ohne Visen, ohne alles – und ich sitze hier in meiner luxuriösen ZWEITwohnung –, wie sie keine ERSTwohnung hatten –.
    Steigenberger Hotel, Stuttgart, den 5. April
    Ich war noch eigenartig aufgewühlt von der Kantorowicz-Eröffnungsansprache (zur Ausstellung anläßlich des 10. Todestages). Kann mir meine Unruhe nicht erklären – weder war er mir so nah (wie ich beim Reden log; aber Nachrufe sind immer fromme Lügen), noch hat er mich je intellektuell so interessiert.
    Dabei war der Abend mit Ingrid Kantorowicz, die ich fein ins Vier Jahreszeiten einlud, sehr angenehm. Ihre leise, boshafte Eleganz amüsiert mich, sie erzählt – am Todestag von Alfred Kantorowicz! – Grotesk-Komisches vom Tod eines gemeinsamen (sehr reichen) Emigrantenfreundes in einem Schweizer Luxushotel, durch dessen Kücheneingang – «Was machen wir nun mit ihm?» hatte die Witwe angesichts der Leiche gefragt – die die Leiche bugsieren mußte. In Hotels darf ja nicht gestorben werden …
    Grotesk auch, mit welcher bösartigen Kälte – «Nun benehmt euch anständig und steigt in den Zug und kommt her!» – sie «die Verräterin» Erika Hofmann samt Arztgatten herbeordert, sich dann keine Minute um sie gekümmert, knapp Guten Abend gesagt hat – die hatten weder ein Hotel noch wußten sie, wo und mit wem essen. Ingrid: «Geht schön essen – ich bin mit Fritzchen im Vier Jahreszeiten.»
    Ingrids Kühle hat etwas Schwebendes – und Weises. «Wichtig in unserem Alter, vor allem wenn man alleine ist, ist Geld zu haben. Man muß sich eben 1 Woche das Danieli in Venedig leisten können, wenn einem danach ist.»
    9. April
    Diffuser Sonntag, Herumleserei in allerlei «Neuem»: Fichtes Nachlaßroman, angeblich sein «kunstvollster», der PLATZ DER GEHENKTEN, ist das reine Blabla, EIN Satz auf EINER Seite – Hochstapelei eines Toten; womit er geradezu ein neues Genre geschaffen hat.
    Zur «Soziologie des Kleinbürgers»: Frau Knauf, meine ehemalige Haushälterin, die jetzt Urlaubsvertretung bei mir macht und deren Enkel seine Mutter (also ihre Tochter!!) erstochen hat: «Und dann ist er mit ihrem neuen Mercedes weggefahren – undenkbar, wenn da was passiert wäre, der schöne neue Wagen –!»
    10. April
    Das sonderbare Selbstbewußtsein von Schriftstellern: Hochhuth, die heutige Presse ist voll der hämischsten Verrisse über die gestrige Premiere seines Leihmütter-Stücks, ruft an: Er sei «voller Lust», neue Stücke zu schreiben, unglücklich, wenn er 2 Tage – wie jetzt während der Berliner Proben – keine Scene geschrieben habe, übrigens ginge das ja auch so leicht – in 6 Wochen ein Stück.
    Zugleich, nicht etwa «keeping low profile» , habe er einen Artikel-Vorschlag an die ZEIT geschickt und eben leider Flimm nicht erreichen können …; als sei das nun, HEUTE, der richtige Moment, das Entrée, das ich ihm bei Flimm geschaffen habe, zu benutzen. Ungebrochen –.
    Die herrlichen Platschek-Lügen. Treffe ihn, wie ich mir von Kruizenga für 3 Mark Brot hole, er die Abendzeitung unterm Arm, dabei hochelegant im schwarzen Cashmere-Mantel. Er habe 2 Tage «auf dem Kiez leben müssen» (im Hause sei Krach gewesen), und da gebe es eine Kneipe, und in der Kneipe gebe es einen Transvestiten, und dieser Transvestit sei Südamerikaner, und als er mit ihm spanisch gesprochen habe, da habe er/die ihm eine Lektion in Marxismus gegeben und beim Stichwort «Überbau» seinen Gummibusen auf den Tresen gelegt. Niemand außer Platschek kann so was erfinden.
    18. April
    Sehr «zittrig» am Tucholsky-Buch.
    Immer wird einem jemand «zu nahe», und das heißt

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