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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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– und lebe dennoch irgendwie «neben» mir. Die Mischung aus Nervosität und Müdigkeit ist geblieben.
    31. August
    Letzter Tag: strömender Regen, grollender Donner – «George-Sand-Wetter».
    Hotel Ritz, Madrid, den 1. September
    Was für Filmschnitte das (mein) Leben bietet. Komme eben von dem sehr angeregten Gespräch mit Jorge Semprún, «schreite» aus dem feinen Ministerbüro – da sehe ich die ZEIT hängen, meinen Deutschland-Artikel auf Seite 1. In Madrid! Die Welt ist klein geworden; hätte Tucholsky mit der Weltbühne nicht passieren können.
    Im Flugzeug München – Hamburg (und weiter nach Kampen), den 8. September
    Rückflug von Enzensbergers Geburtstagsfest, das lustig wegen der Gäste und absurd wegen des Lokals war: Peter Schneider und Unseld, Joachim Kaiser und Bienek, Michael Krüger und Tankred Dorst – eine lange Liste angenehmer Kollegen.
    Das Ganze in einer Art katholischem Jungmänner-Heim, einen langen Gang voller Guardini-Portraits und frommer Broschüren entlang zum «Festsaal», wo Hans Magnus Enzensberger in einem Smoking aufwartete, der wie aus dem Kostümverleih aussah.
    Ein interessantes Gespräch, in dem Peter Schneider dem Joachim Kaiser erklärte, warum ER nie und ICH so oft angegriffen werde: «Sie haben Ihr Leben lang doch nur Bücher oder Konzerte rezensiert – wer regt sich darüber schon auf. Der Fritz hat sich ständig ausgesetzt – wie jetzt mit dem Deutschland-Artikel – und kontroverse, explosive THEMEN aufgegriffen, oft erst zum Thema GEMACHT.»
    Detail-Beobachtung: Homosexuelle haben keinen Schatten. Ute Grass erzählt von ihrer kranken Mutter, Karin Wunderlich von ihrer Tochter, Guntram Vesper erzählt/schreibt von Mama und Papa, Hochhuth von seiner Ehekrise – – – – aber nie, mit keinem Hauch einer Silbe, kämen sie auf die Idee, ihrerseits zu fragen. Ein Homosexueller hat offenbar nicht Vater noch Mutter, keine Kinder (vermutlich; obwohl’s bei mir immerhin 2 waren …), und Partnerprobleme wirken bei Schwulen offenbar lächerlich bis peinlich; und Geschwister haben «solche» auch keine. Ob Biermann, ob Kempowski: Sie erzählen einem von ihrem Liebesleid und auch «anderes»; wenn ich nun Geschichten vom Knabenstrich erzählte?
    Steensgard Hotel, Dänemark, den 13. September
    Besonders schöner Besuch «bei Brecht»; was eine literarische Ausrede für einen traumhaften 2-Tage-Ausflug nach Dänemark ist: auf die Insel Fünen und in dieses sehr niedliche, nicht sehr funktionale, aber hübsche Hotel (wo man wie auf dem Kasernenhof PUNKT 7 Uhr beim Abendessen sitzen muß – das noch zumal nicht gut ist …).
    Aber die Fahrt – mit dem Fährschiff via Rømø – Beethovens Siebente im Autoradio, durch die herbstlich übergossenen Wiesen, vorbei an bezaubernden Herrensitzen, riesigen Waldungen, Feldern, immer wieder jäh wie ein blitzendes Messer eine Bucht der Ostsee auftauchend: herrlich. Das ganze Land wirkt wie «durchgeatmet» von der See – man spürt sie, in der Luft, am harten Rascheln der Blätter, am Licht. Dazu die vielfache Herbstfärbung, alles bei strahlender Sonne (noch heute mit einer kleinen Fähre zurück – dann über Niebüll mit dem Autozug «nach Hause»), dort brennend rote Beeren, dort ein Dahliengarten und anderswo ein Fuchsien«park» – ich weiß nicht, die wievielte Insel es ist, die ich dieses Jahr besuchte; aber ich weiß: DAS ist meine Landschaft.
    In Svendborg – ob Brecht auf dieser Terrasse auch mal mit der Weigel saß? Auf einer kleinen Hotelterrasse über einer Bucht, unter einem schaukelten die Schiffchen, eine große Heringsplatte mit Tuborgbeer – alles wie im Bilderbuch.
    30. September
    Das schönste, genaueste und auch traurigste Echo auf meinen Deutschlandartikel (Hunderte von Leserbriefen!!!) kam von Wapnewski, der mir in einem langen Brief zwar gratulierte, aber zugleich schreibt, daß ihn das Thema nichts (mehr) anginge – Hitler, und jene (alle) Deutschen, die mit dem ans Ende der Welt marschiert wären, habe ihm «sein» Deutschland endgültig genommen. Wäre einen Essay wert, etwa wie Giordanos neues Buch WENN HITLER DEN KRIEG GEWONNEN HÄTTE – eine grausliche Bilanz aus jenen vorprogrammierten Siegesräuschen, die dann bei nahendem Untergang ganz rasch und mühelos in Überlebensstrategien nach der Niederlage umgedacht und auch ganz real umFUNKTIONIERT wurden (Ludwig Erhard etwa und fast AUSNAHMSLOS ALLE Wirtschaftsführer) – die Elite des Nachkrieges war die Elite bei den Nazis, ob nun als

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