Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Zuchtbullendirektoren der SSbordelle, wo die nordische Rasse erfickt werden sollte, als Furtwänglers oder als IGfarbenchefs. Sie waren alle da(bei) und blieben alle. Das letzte THEATER HEUTE-Heft bringt eine glänzende Zusammenfassung davon, was die Herren vom Theater und vom Film betrifft (und die Damen, of course ).
Das lächerlichste Echo auf meinen Artikel kam von Grass: nämlich keine Silbe. Als Ute mit mir telefonierte, erzählte sie nicht nur, wie besonders gut ihr dieser Artikel gefallen habe, inhaltlich wie «stilistisch», sondern auch, wie sie fast 2 Wochen lang mit jedem Besucher – auch in Dänemark – darüber diskutiert und gestritten hätten. Dann kam Günter ans Telefon, «Guten Tag» und «Wie geht’s» und «Ich war gerade in …» und «Ich werde morgen in … lesen» – – – und, als habe ich einen Pups gelassen, KEIN WORT zu dem Artikel. Da er nicht von Grass ist, ist er nicht.
Hôtel Lutetia, Paris, den 4. Oktober
Mittagessen mit Lortholary (der meinen nächsten Roman für Gallimard will); erzählt Balzac-reife Geschichten vom Bruderzwist im Hause Gallimard, wo der eine Bruder aus Angst vor dem anderen sich nicht traut, auf der Frankfurter Messe einen Empfang zu geben.
Paris, den 6. Oktober
Eine der surrealsten Nächte meines Lebens, die einen schwarzen Schlamm aus Neugier-Entsetzen-Geilheit-Ekel in mir hochschwemmte (und vielleicht in allen – vielen – Menschen hochschwemmen würde?): Mit einem Pariser Freund, Laudan und meiner Schwester in den Bois-de-Boulogne, wo eine Straße nackten Transvestiten-Strichern, eine andere «normalen» Huren, eine dritte schwulem Strich und eine vierte jungen Leuten reserviert ist, die Partousen suchen. Hunderte von Autos schleichen im Schrittempo, halten, man verhandelt durch die herabgelassenen Fenster, man steigt aus (in die Büsche) oder ein. Eine abgedunkelte Sex-Parade (100 m daneben ein Polizeiposten). Wir halten bei einem sehr jungen, sehr gut aussehenden Jungen. Er kommt wie ein Zeitungsverkäufer, nonchalant und selbstverständlich an den Wagen. Nein, Männer möchte er nicht: «Ich stehe nur auf Frauen, viele, jeden Abend möglichst mehrere.» Er gibt lässig und ganz unverklemmt Auskunft, als erzähle er von seiner Vorliebe für Western oder Thriller. Männer «dabei» nimmt er nur allenfalls «mit in Kauf». Nein, Geld nähme er nicht. Es ist sein «Hobby». Bereitwillig gibt er Auskunft: Die Voyeure fänden wir 1. rechts, 2. links, gleich hinter der sowjetischen Botschaft (!!) – so, als sage man auf dem Markt, der Stand mit den Tomaten ist eine Zeile weiter. Als wir in diese Straße einbiegen, fliegen förmlich, in Schwaden, zu 4, 5, 8, 12 Männer auf das Auto zu, sie stehen mitten auf dem Damm, als wollten sie uns stoppen.
Wir halten rechts. Sofort sind neben uns – meine Schwester sitzt vorne – 4, 5, 6 Männer, die ihr Gesicht an die Scheiben pressen (eine umgekehrte Aquariums-Situation), erst in ihren Hosentaschen fummeln, schließlich ihre Schwänze herausholen, wichsen. Einer neben dem anderen, klein bis riesig, erigiert, die Gesichter, Augen, Lippen ans Glas gedrückt.
Wir fahren langsam an. Sie «winken hinterher». Um den Block. Ein Wagen folgt uns. Wir halten, der auch. Heraus steigt ein biederer Vertreter-Typ, kommt sofort auf unseren Wagen zu und öffnet wie selbstverständlich seinen Hosen-Schlitz. Was will so jemand, eine Frau, eine Triole, sich exhibitionieren? Warum sucht sich der gut aussehende Junge seine Mädchen nicht in der Disco, braucht er diesen schwarzen thrill ?
Noch einmal zur Voyeur-Zeile. Derselbe unheimliche – aber uns alle offenbar auch erregende – Film namens Psychopathia Sexualis. Die offenbar in jedem Menschen nistet, ein unergründlicher, tiefer Boden.
«Où est la dame?» fragten dieselben Typen, als die beiden Freunde (nachdem sie uns im Lutetia abgesetzt) «heimlich» noch mal hingefahren waren, 3 Uhr morgens. Nein, Männer interessieren sie nicht; auf sein «Zeig mir doch mal deinen schönen Riesenschwanz» ein zögerndes: «C’est difficile.» Wenn sie eine Frau sehen, gar einen Schlüpfer, steht er sofort, immer, dauernd wieder. Stundenlang stehen diese einander vollkommen fremden Männer nebeneinander, starren in immer wieder (zu Hunderten heranrollende) parkende Wagen und wichsen gegen die Scheiben, wo innen meist ein Mann neben (s)einer Frau masturbiert. Manchmal steigen sie auch ein, fahren mit. Ein Homo-Stricher verlangte 500 Francs – was dem geizigen Laudan zu teuer
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