Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Buch über Peru und die Lamas, Vecuñas und Indios!
Hotel Vier Jahreszeiten Kempinski, München, den 7. Februar
Es stimmt offenbar nicht, wenn ich immer behaupte, ich sei nicht neidisch: Ich war im Gegenteil halb krank vor Neid auf einen frisch-verliebten jungen Arzt-Freund von Peter Laudan (den ich zumal selber attraktiv finde), der mir beim Essen nach der Lesung seinen «neuen Freund» vorstellte: einen sehr gut aussehenden, kräftigen Burschen mit herrlichem Schnauzer, Lockenmähne und sinnlichen Händen. Neid heißt ja wohl, des «anderen Weib, Geld usw.» haben wollen. In mir bohrte es: warum der, warum nicht ich; warum den …
Daß ich alter Mann auch noch in Betracht kommen könnte, darauf ist der junge Internist vermutlich garnie gekommen. Ich bin eine «ferne Berühmtheit», geschlechtslos weit weg …
Dafür durfte ich den folgenden Abend in Bad Mergentheim «beim Wein’chen» mit einer Hebamme, einem Oberlehrer, einer Kripo-Beamtin und einem reaktionären Buchhändler verbringen.
10. Februar
Ver«stimmt» (i. e.: erkältet) zurück von der gräßlichen Lesereise mit «Ausklängen» in Langenau bei Ulm, Crailsheim usw. – tatsächlich zwar stets volle Häuser, großer Applaus usw., aber anstrengend weit über meine Kräfte, physisch wie psychisch. Das Herumstehen auf pfeifend-kalten Provinzbahnhöfen, die Nächte in den wechselnden Furnierbetten, jede Dusche eine andere Armatur, und mal geht das Fenster nicht auf und mal nicht zu, aber dafür die Heizung nicht an respektive aus: Mich bringt das halb um und raubt mir Kraft, Nerven, Geduld und Selbstwürde. Man ist ein dressierter Pudel, von dem man für sein Honorar gute Laune, witzige Anekdoten und nächtelange Trinkfestigkeit verlangt.
13. Februar
Gestern langes und unangenehmes Telefonat mit Grass: Er weiß wieder mal ALLES; wie die DDR erhalten bleiben muß, warum, warum die Menschen, die es nicht aushalten, natürlich unrecht haben und daß die DDRwirtschaft keineswegs marode sei. Er wird ungeduldig und geradezu befehlshaberisch, wenn man auch nur Zweifel, geschweige denn andere Meinungen, formuliert, man hört direkt den Ton: «Aber ich habe es dir doch nun alles erklärt – warum parierst du nicht?» Wie Jürgen Becker neulich in Köln beim Abendessen sagte: Grass hat etwas Diktatorisches.
Amüsant dabei das Aufeinanderprallen der ZWEI Diktatoren: Er erzählte, daß ein ursprünglich für den SPIEGEL geschriebener ZEITartikel dort habe nicht erscheinen können, weil er in einem NEBENSATZ was gegen Augstein gesagt habe (wie ja auch der weiland bei Rahner bestellte Artikel über Augsteins Jesusbuch, als er sich als kritisch herausstellte, zurückgeschickt wurde – und ein positiver bestellt wurde; oder wie ein SPIEGEL-Redakteur mir nach irgendeinem kleinen Funk-Interview von mir sagte, das sei so amüsant gewesen, am liebsten hätten sie daraus einiges zitiert, aber da ich das Wort «Bier» benutzt habe, wäre das nicht gegangen – jedermann hätte das für eine Negativ-Anspielung auf den (biertrinkenden Alkoholiker) Augstein auffassen müssen).
Ich bin so müde, immer und allenthalben NUR für andere da zu sein – jeder will was, erwartet was, stellt sich unter das Geäst der deutschen Eiche. Ich würde so gerne mal beschützt werden, spüren können, daß sich jemand UM MICH kümmert, besorgt ist. Kindliche Wünsche, die wohl auch zeigen, wie schwer es mir fällt, alt zu werden – ich erwarte noch immer, wie ein Kind, daß der Onkel oder die Tante, die zu Besuch kommen, eine Tafel Schokolade mitbringen.
15. Februar
Mache im Moment eine eigenartige Erfahrung – ist es ein neuer Hochmut?: Ich finde viele der Bücher so «berühmter» Autoren wie die von Jorge Semprún, Mario Vargas Llosa oder (heute gelesen) die Memoiren von William Burroughs SO schlecht, daß ich nicht verstehe – wieso wird derlei in der ganzen Welt anerkannt, gar hochgejubelt?
Aber vielleicht sind das auch die Fiepstöne des Kindes, das sich die Angst im Walde wegsingt, weil es sich in seiner Einsamkeit grault. Erinnere den unsicheren, daher sympathischeren Grass an Adornos Wort: «Es gibt Leute, die haben kein Recht, recht zu haben.» Günter irrt wohl in der Sache, aber grübelt immerhin, wenn auch sein Auschwitz-Argument infam-falsch ist: Wieso sind 60 Millionen Deutsche harmlos und macht das PLUS von 15 Millionen sie zu potentiell eines neuen Auschwitz Fähigen? 4
28. Februar
Nicht zuletzt durch die Dinge in der DDR vollkommen aus der Balance geworfen; ich
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