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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Frühstück, dessen Servietten-Gabel-Untertassen-Losigkeit ein eigenes Stil-Leben wäre. «Tee willst du?» – Kein Löffel ist zu finden. «Estella» (das Dienstmädchen; man hat zwar keine Tassen, aber ein Dienstmädchen – «bügeln kann ich nicht»): «Wo ist denn die Zitrone?» Meine Frage, wann wir denn nun führen, erreicht unwirsche Beleidigtheit. Vielleicht könne ja Daniel mit, der Bauer, der auf den Namen Ranchero hört. Aber wo ist Daniel? «Das weiß ich doch nicht. Übrigens habe ich einen Platten, wir müssen erst mal Reifen wechseln fahren.» Nach einem Bissen Brot und einem Stück Papaya in dem vollkommen vergammelten Auto, zusammengehalten mit Leukoplast, hinter den Sitzen rollen leere Flaschen, ein Schuh, ein kaputter Ersatzreifen, undefinierbare Stoffreste, zur Garage. «Geld hast du? – Ich muß noch zur Bank. Wie spät ist es? Ach so, da hat die Bank zu, ha, ich brauche ja kein Geld.» (!) Reifenwechsel. Zurück in das «Haus» – Auftritt Daniel. Es ist lange nach 12.00. Daniel will frühstücken, eine Papaya schälen, die Handtasche ist weg, Daniel muß auf «die Ranch», die Tiere füttern, will aber mit nach Guadalajara. Estella muß eine Hose suchen, ein Hemd bügeln, weil Daniel sich auf der Ranch, wo wir ihn abholen sollen, umziehen will. Mein Einwurf, daß die Museen nachmittags schließen, erweckt Unwillen. Daniel ab. Die Schnecke schminkt sich, wir fahren los, müssen zweimal zurück, die Schlüssel sind weg, ein Brief muß noch zur Post – die hat zu. Die Hausschlüssel sind weg. «???» «Egal, irgendwie kommen wir rein.»
    Auf abenteuerlichen Feldwegen im krachenden Wagen zur Ranch. Daniel nicht zu sehen. Schließlich wird mir erklärt, daß ihr Wagen falsche Papiere hat und keine Versicherung und wir «besser» mit Daniels Wagen führen. Der ist: ein Lastwagen, Baujahr 1956, ein absolut abenteuerliches Gefährt, beladen mit Getreide, ohne Sitze, ohne alles, die Fenster gehen nicht auf und die Türen nicht zu. Damit donnern wir – ich hopse manchmal 5 cm hoch – gen Guadalajara. Daniel erklärt, daß er 1.) mit dem Wagen nicht in die Innenstadt und 2.) nicht parken darf.
    Ankunft im spektakulär schönen Museum. Daniel: «Schön für Sie, wo Sie doch neulich die Tochter kennengelernt haben.» (Ich hatte in Mexiko die Tochter von Diego de Rivera kennengelernt.) Er stand offenen Mundes – und sich bauernschlau einer fremden Führung anschließend –, hatte das alles noch nie gesehen; wie meine kunstsinnige Schwester (Guadalajara ist von ihrem Wohnort Chapala so weit weg wie Blankenese von der Hamburger Innenstadt). Sie steht vor der Kathedrale und fragt: «Ist das das Museum?» Ihr Hauptsatz ist «Das weiß ich nicht»: ob Zicklein ein Nationalgericht ist oder wer Vallarta war, wieviel Einwohner Guadalajara hat oder wann die Revolution in Mexiko war. Stattdessen, in einer Mischung aus Plärren und Quengeln, wird unentwegt geplappert – im Auto, im Café, im Museum: «Joghurt mit Himbeeren mag ich nicht»; «Salat mache ich nie in Tonschüsseln an»; «Hier links an der Hüfte tut es mir seit gestern weh» – wie ein Kind, nein, wie ein Eimer, der ein Loch hat, rinnt es unaufhörlich heraus, was gerade durch dieses winzige Gehirn schießt –, «der linke Schuh drückt mich.» Keine Minute Schweigen. Die Sprache wird perfekt beherrscht – aber daß Sprache auch ein Instrument der «Aneignung» sein kann – nix. «Wie groß ist der Lake Chapala?» «Das weiß ich nicht.» «Wo ist Zapopan?» «Das weiß ich nicht.» Da will ich aber, weil es eine besonders schöne Kathedrale haben soll, hin; 20 Minuten Fahrtzeit. Daniel droht mit dem Lastwagen. Ich erzwinge ein Taxi (und zahle es, natürlich).
    Erschöpft sage ich, Daniel sei der Tag gewiß etwas zu viel und zu langweilig gewesen, und ich werde besser alleine zu Abend im Hotel essen. Bares Unverständnis. «Wenn’s ihm zu viel wird, kann er ja ins Bett gehen.»
    5 – fünf! – Minuten später, es ist nachmittags: «Daniel hat Hunger.» Wir gehen also in ein Restaurant. «Kann man hier auch zu Abend essen» (es ist nämlich ganz hübsch)? «Das weiß ich nicht.» Wir essen also um 5 Uhr Ziegenbraten und trinken Bier. 10 Minuten später: «Bier bekommt mir nicht, ach, Daniel, mir ist ja so schlecht.» Mein Einwand, warum man Bier bestelle, wenn man weiß, daß es einem nicht bekommt, ruft gereizte Empörung hervor. Auch das Essen – da sie vor Kurzsichtigkeit keine Speisekarte lesen kann, nach 10minütigem Palaver

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