Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
März
Die andere Seite meiner Lorca-haft zunehmenden Ängstlichkeit («Ich bin ein Glühwürmchen im Gras, das davor zittert, zertreten zu werden»; aber immerhin Glühwürmchen …) ist die ständige Selbstverletzung – garnicht metaphorisch. Auch metaphorisch: Ich genieße die Reise, die ja reiner Genuß sein sollte, nicht.
Selbst die (mir schließlich bekannte) Ermordung Lorcas nimmt mich bei der Lektüre mit; zu Recht wiederum, wenn man das viehische Hinschlachten bedenkt: Dem Schwulen wurde 2mal in den Arsch geschossen, eine Folter ohne Ausmaß.
Hotel Maharani, Südafrika, den 16. März
Morgen ist nicht nur das für dieses Land entscheidende Referendum, sondern auch in Reinbek das Memorial für Ledig, der – was für kitschige Pointen hält das Leben bereit – im Maharadscha-Hotel starb (in Wahrheit: dort erkrankte und im Spital starb). Ich wohne nun im Maharani – und habe solche Schmerzen in der Lunge (Ledig starb an Lungenentzündung!), daß ich das Gefühl habe, ein Sterbender reist im Mercedes durch Afrika.
Die Stadt übrigens schön, von lässiger Eleganz, weder Spannung noch Elend vorführend – im Zentrum: Gestern sollen 13 Menschen in den Townships ermordet worden sein. Eine Reise neben einem Land, durch es hindurch.
Mont-Aux-Sources Hôtel, Südafrika, den 19. März
«Verraten und verkauft» in einem luxuriösen Bungalow-Hotel hoch oben in den Drachenbergen; unser komfortables Haus – 2 Schlafzimmer, 2 Bäder, großer Salon, Küche, Terrasse vor dramatischer Bergkulisse – völlig sinnlos: kein Room-Service, kein Schluck Wasser im Riesen-Eisschrank, der nächste Ort, wo man 1 Stück Brot oder Käse oder 1 Flasche Wein kaufen könnte, 40 Kilometer entfernt! Ich sitze etwas verzagt in der Abenddämmerung, im Ohr das Dudelsack-Gejammer eines offenbar idiotischen Schotten, der im Röckchen die Berge andudelt. Zum Entgelt werden nicht einmal die Hemden gewaschen …
Mont-Aux-Sources Hôtel, Südafrika, 20. – 23. März
Der pocket-book -Oscar-Wilde FJR (obwohl meine Einrichtung bestimmt besser, richtiger, echter ist als seine offenbar scheußliche) amüsiert sich bei der Lektüre der Ellmann-Oscar-Wilde-Biographie: «Ich höre mich gerne reden. Es ist eines meiner größten Vergnügen … und ich bin so gescheit, daß ich von dem, was ich sage, manchmal kein Wort verstehe.»
«Auf meine Werke habe ich mein Talent verwendet, auf mein Leben hingegen mein ganzes Genie.»
«Literarische Freundschaft basiert auf dem Mixen des Giftbechers.»
«Mit etwas mäßig Genossenem (Tabak!) kann man sich nicht anfreunden. Sich mit einer Sache anfreunden, das setzt voraus, daß man die Sache im Übermaß betreibt.»
«Die richtige Grundlage für eine Ehe ist ein gegenseitiges Mißverständnis.»
«Nur die Oberflächlichen urteilen nicht nach dem äußeren Schein.»
Südafrika, den 27. März
Entgeistert von der Düsternis von Oscar Wildes Ende: auf den Straßen von Paris alte Freunde (wie André Gide) anbettelnd; gedemütigt; verachtet; krank; Alkoholiker – und pfenniglos-arm.
Obwohl: Die Literatur dieses Mannes hat das Buch mir nicht nähergebracht. Die Gedichte scheinen mir schwulstig, der Dorian Gray jugendstilig, die «Theorien» keine und die Stücke verplappert. Kein großer Autor – eine große Legende. Was bleibt, sind die Bonmots (waren die ein Leben wert?): «Ich bin geschaffen, um zerstört zu werden. An meiner Wiege saßen die Parzen.»
«Ich bin ein Problem, für das es keine Lösung gibt.»
Vieles ist mir so nahe, und an Neid, Verfolgungssucht, Beißwut gegen «den anders Riechenden» bietet mein Leben ja ein gerüttelt Maß.
1. April
Die Rückkehr von 2 absurden Anrufen «verziert»: Reich-Ranicki wollte mich zu seiner Fernseh-Quasselbude einladen!!! Und mochte garnicht verstehen, daß ich (übrigens höflich) nein sagte. Er sah sich wohl in der Rolle – ja was für einer: des Gönners? Des Friedenshandreichers (nach dem Motto: Ich verzeihe Ihnen, was ich Ihnen angetan habe …)? Ekelhaft.
Dann am nächsten Morgen um 8 (!!) Thomas Brasch, entweder drogiert oder Drogen-entzogen, halb lallend, halb unverständlich. Er wollte – und tat’s – mir am Telefon einen Text vorlesen (als hätten wir vorgestern das letzte Mal miteinander gesprochen …), den er mir – das kam aber erst NACH der Lesung – vor 4 Jahren mal gewidmet (und seitdem verkramt) hätte. Schicken will er ihn mir aber partout nicht. Verstehe die ganze Veranstaltung nicht.
11. April
Ulkig, wie z. B. Platschek,
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