Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
das Interview mit Nadine Gordimer. 1 Stunde Wartezeit, die ich mit dem 85jährigen (auf verzweiflungsvolle Weise Bucerius ähnlichen) Mann aus der Cassirer-Familie bei Tee und Plätzchen verbringen durfte. Das Haus luxuriös groß, «protected» , aber wie bei allen Schriftstellern anspruchslos eingerichtet, außer: Bilder von Vuillard, Toulouse-Lautrec (ein Litho, ein Aquarell), Cézanne, Slevogt, Signac, Vlaminck, Liebermann, Skulpturen von Barlach.
Selbstverständlich schwarzes Personal, dem ich – man ist ja liberal, sogar «radikal» – als «mein Freund aus Deutschland» vorgestellt werde, was sie weder interessiert, noch wissen sie, wo Deutschland ist.
Das Interview middlebrow , wie sie eben als Romancier auch «middle» ist. Leicht lächerliche Nähe zum Marxismus. In Johannesburg wird noch Ernst Fischer zitiert …
Mit den beiden zu einem ANC-Wohnbezirksmeeting in einer Art Schulzimmer, bei dem es in unverfälschtem APO-Vokabular um (gegen) das Referendum ging. Anrede «Comrade» mit geballter Faust und Aufrufen zum «Kampf». Ein zurückgespulter Film, wobei mich mehr die Weißen in ihrem hochkultivierten Englisch erschreckten, die sich selber abschaffen wollen (und die eben nicht ganz akzeptiert sind), als die Schwarzen in ihrer fast unverständlichen Sprache, deren Hunger nach Leben, Freiheit, Gleichberechtigung man ja versteht.
Hôtel La Grande Roche, Südafrika, den 4. März
Im unglaublich schönen Luxus-Hotel La Grande Roche gelandet, einem alten Weingut, unter (natürlich!) deutscher Regie komfortabel-eleganter Landsitz mitten in Weinfeldern, Blick auf einen Mont Ventoux und mit allen Schikanen à la Pool, Massage, 17.-Jahrhundert-Dining-Room: Vielleicht beginnt nun ein veritabler Urlaub, wie ich ihn noch nie seit Jahrzehnten gemacht habe! Und wie geht so was?
Der letzte Tag im unerquicklichen Johannesburg war noch mal leer und befremdlich mit dem Galerie-Besuch bei einem aufsteigenden weißen afrikanischen Maler, eine Mischung aus Agitprop und Dada.
Wenn man so was wie diese Hotel-Anlage, aber auch die Gegend, durch die man (mit dem anfangs schwierig zu handhabenden Leihwagen) fuhr, fragt man sich doch ernsthaft: Werden die, die sich das aufgebaut haben, das freiwillig abgeben? Welche Klasse schafft sich ohne Not selber ab? Die französische Aristokratie – vielleicht. Und Gorbatschow; immerhin zwei historische Beispiele.
Gewiß wurde alles hier einstmals gestohlen – aber im Sinn der «ersten Akkumulation» des Karl Marx hatten die Dönhoff oder Rockefeller einst auch alles mal gestohlen. Generationen sind eine gute Geldwaschanlage. Wer fragt denn, woher das Kennedy-Geld in Wahrheit kommt?
Hôtel La Grande Roche, Südafrika, den 5. März
Wie viele Paradiese gibt es? Venedig und Mexiko, die Toskana und Sylt, Burgund und New York – und nun noch dieses! Jedenfalls ist dieser Teil Südafrikas – in einer beunruhigenden Mischung aus Holland, England, Negerkral und deutscher Eiche – traumhaft schön (seltsames Wort: Meine Träume sind nie schön …); obwohl alles «verkehrt herum», Weinlese im März, sich entblätternde Platanen und reif-fallende Eicheln. Nur der Tier-Bio-Zyklus ist nicht verkehrt (auch eigenartig): Küken kurz vor Ostern. Die Farmen mit ihren weißen, reetgedeckten (!) Häusern, weitläufigen Anlagen, gepflegt/gesprengten Blumen-Rabatten (Hortensien!) absolut europäisch, die Schwarzen befremden fast, wirken mehr dekorativ als hergehörend.
Beacon Island Hotel, Südafrika, den 10. März
Kapstadt mit Parks, Avenuen, schönen Hotels, Restaurants, Vororten und dem Tafelberg war noch wunderbar; die ganze Umgebung paradiesisch.
Der Wechsel hierher – nach landschaftllich schöner X-Stunden-Autofahrt – enttäuschend: Touristen-Hotel der miesen Massen-Kategorie, schön gelegen, aber gräßliches Publikum, Kantinen-Anstehen und Animateure. Nur: Die Kategorie, die mir gefällt, kann ich mir nicht leisten; knapp diese …
Beacon Island Hotel, Südafrika, den 13. März (Freitag!)
Die Reise ohne Arbeitsprogramm (zum 1. Mal seit ca. 25 Jahren!) bekommt mir nicht. Vergrabe mich faute-de-mieux in die Lorca-Biographie (die zu vehement auf seiner Homosexualität «beharrt») und finde mich da in vielen Idiosynkrasien wieder: 1 Leberfleck – schon ist’s Hautkrebs. Der tod-traurige Party-Clown. Die Todesfurcht (gerade bei mir sehr aktuell).
Mich langweilt Afrika als «Afrika», wenn ich auch das Schöne durchaus wahrnehme.
Beacon Island Hotel, Südafrika, den 14.
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