Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
mit dem ich vor paar Tagen essen war, von Geldsorgen garnicht beunruhigt ist – es scheint eben doch, daß er irgendwelches privates Geld hat, sonst könnte nicht ständig von «dem Konto» und «man muß jetzt aus der Mark rausgehen» die Rede sein. Er publiziert ja kaum noch – angeblich habe er jetzt eine «Mal-Phase» und verkaufe wie irre, sein Händler habe neulich 2 «frühe Platscheks» für 100.000 Mark verkauft. Ich halte das alles für gelogen, ich kenne NIEMANDEN, der einen Platschek hat oder will. Andererseits kann man ja, geht’s ums Essen, nicht lügen? Er lud jedenfalls in ein drittklassiges spanisches Restaurant ein, in dem beifallklatschende Friseure ihre Bräute zu süßem Wein einluden, während ein entsetzlicher «spanischer» Sänger sich den GANZEN Abend ohne Unterbrechung an unseren Ohren verging. Platschek fand das wunderbar und bestellte sich auch noch – geradezu pervers – das Lied COMANDANTE CHE GUEVARA. Ich war einer Ohnmacht nahe und bestellte, um endlich wegzukommen, ein Taxi – so, als hätte ich übersehen, daß die Rechnung noch garnicht bezahlt war. Schon zu Beginn des Essens, als ich bemerkte, wie langsam die Bedienung war (wir saßen nach 50 Minuten immer noch bei den Olivchen), sagte er: «Ja, wunderbar, nicht wahr.» Ob er da manchmal abends allein bei der spanischen Gitarrenmusik seine einsamen Abende verbringt?
12. April
Absonderliche Erfahrung, wie EIN Partner in einer homosexuellen Beziehung sich als Frau empfindet bzw. geriert. Mich ruft ein (lange zurückliegend) ehemaliger Lover an, ein übrigens sehr netter, ganz kultivierter und sehr gut aussehender Mann von ca. Mitte 40. Sein Liebhaber, ein 51jähriger Arzt, hat ihn Hals über Kopf wegen eines 22jährigen Kaufhausjünglings verlassen. Und nun kommt ein Beschwerdestrom der verlassenen Frau: Der Junge ist natürlich das Bübchen (bei verlassenen Frauen: die Schlampe, die Trulla), es ginge ja nur «um das junge Fleisch», «ich kann ja nichts dafür, daß ich nicht mehr 22 bin», und das Jüngelchen könne ja auch den Leberkranken nicht pflegen und würde ihm bestimmt «ins Portemonnaie fassen», zugleich drohende Untertöne: «Das kann er so nicht mit mir machen, ich weiß da allerlei krumme Sachen» (offenbar Steuersachen und Beraterverträge usw.), und er kann ja alleine das Haus garnicht in Ordnung halten, und da liegt so viel rum, wenn das Bübchen das sieht und findet, «ist er ja ausgeliefert». Er habe das – auch wie viele Frauen – schon zweimal mitgemacht, einmal sei es ein halbes Jahr gegangen, aber er habe «ihn sich zurückgeholt» (also ein halbes Jahr Fremdgeherei geduldet und «alles verziehen»), und nun wisse er nicht, wie lange er das mitansehen und aushalten könne, d. h., wiederum wird er den fickrigen Kerl nicht rausschmeißen, wenn er reuig wieder angekrochen käme.
Wie bei geschiedenen oder verlassenen Frauen immer «die andere das Drecksweib» ist und dem armen Mann sofort vergeben würde, so auch hier.
Kampen, den 22. April
Die «faule» Montaigne-Lektüre, auf die ich mich, da «ohne Pflichten», gefreut hatte, verschlägt nicht – entweder ich bin zu griesgrämig, oder er ist WIRKLICH überschätzt: Ich finde den berühmten Essay über den Tod banal, letztlich reduzierbar auf die zwei Sätze «Wir müssen sterben» und «Man stirbt von Geburt an». Das wüßte ich auch ohne den Herrn Grafen. Auch der Essay über die Eitelkeit enttäuschend in seinem Lob der Faulheit, die sich halt ein schwerreicher Mann lächelnd leisten kann (indem er nie die Abrechnungen seiner Güter kontrolliert). ICH muß meine Abrechnungen kontrollieren.
28. April
Irgendwann dieser Tage (Nächte) brennender Begehrlichkeitstraum mit – Bernd! Wie viele Jahre ist er nun tot – und immer noch in meinem Unterbewußtsein ganz lebendig. Kam mir gegenüber Gerd wie ein «Ehebrecher» vor.
Dann Angsttraum. Erinnere den englischen Lakonie-Satz (den ich heute in einem Francis-Bacon-Nachruf las): Man wird geboren und man stirbt. Das ist’s.
Wobei mich sogar dieser Tod «traf». Sehe ihn deutlich bei unserem Gespräch, bei dem bizarren, Wein-vollen Lunch bei Whiltons, beim Frühstück im DEUX MAGOTS oder erst kürzlich (ich sprach ihn nicht an), wie er morgens schon sturzbetrunken das DEUX MAGOTS verließ, schwankend, abgerissen, alt, müde, unerkannt. Ein Schatten. Dabei war er doch einer der bedeutendsten (erfolgreichsten und reichsten) Maler des Jahrhunderts.
Wieviel graziöser, was heißt: vernünftiger
Weitere Kostenlose Bücher