Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Abend.
Eingeladen Frau Schuchardt (Kultursenatorin), Gräfin Dönhoff, Günter Grass, Paul Wunderlich, Rolf Hochhuth.
Thema des Abends siehe beiliegenden Brief.
Frau Schuchardt aber plauderte von ihren administrativen Sorgen, die niemanden interessierten, von irgendwelchen Bibliotheken oder Kulturhäusern, und hätte ich nicht rigoros die Sprache auf das Thema gebracht: Sie hätte kein Wort gesagt; sowenig sie sich im Hause auch nur mal umsah (weswegen ich ja u. a. das Ganze bei MIR arrangiert hatte), nicht mal ins Speisezimmer ging sie den ganzen Abend lang. Sie verstand nicht die Dimension des Unterfangens: Sie zündete nicht, selbst grammatikalisch begann jeder Satz mit einem «aber» oder «obgleich». Sie hatte sogar den Charme, den anwesenden, ja nicht ganz bedeutungslosen Gästen ins Gesicht zu sagen: «Wenn ich im Senat Ihre Namen nenne, dann – das verspreche ich Ihnen – weiß NIEMAND, wer Sie sind; ausgenommen eventuell Grass – und von dem weiß man nur, daß er gegen die Pershing II ist.» Da muß man mit Brecht sagen: Man weiß nicht, was schlimmer ist – wenn es so ist, oder daß sie es sagt.
Also: Aus der Sache wird nix. Die Dame hat zwar einen Chauffeur (den sie, bezahlt von Steuergeldern, bis halb ein Uhr nachts vorm Hause warten ließ), aber keinen Verstand. Und auch keine Manieren; immerhin gab es zu essen und zu trinken: Ich habe nie wieder von ihr gehört, ni fleur ni couronne .
1. Februar 1984
Lieber Fritz Raddatz,
zunächst noch einmal herzlichen Dank für den besonders netten Abend bei Ihnen. Ich fand, er war sehr gelungen und will, wenn es Ihnen recht ist, auch selber noch einmal mit Dohnanyi anhand Ihres Briefes sprechen, denn mir schien, daß Frau Schuchardt kein großes Zutrauen zu Ihren diesbezüglichen Fähigkeiten hatte.
Tausend Dank dem Secretarius für den prächtigen Brief, den ich wiederum als Modell für ähnliche Fälle in mein Archiv einordnen werde.
Hoffentlich haben Sie gutes Wetter!
Schöne Grüße
Ihre
Marion Dönhoff
15. Februar
Nach langer Pause: Erster Faustschlag gegen/wegen KUHAUGE – warum eigentlich? Was habe ich anderes getan als Mishima, Genet, Baldwin, Fichte und viele andere? Weniger sogar: Für mich IST das doch garkein homosexuelles Buch, zumal es mit dem Gegenteil endet. Und wieso dieses ständige «Autobiographie»-Gekreische? Welches Gesetz habe ich eigentlich verletzt?
Und welches sonderbare Gesetz der ständigen Explosionen steht überhaupt über meinem Leben? Stimmt jenes von Stiefmutter Irmgard aus der Los-Trommel gezogene «Fällt auf den Rücken im Grase und bricht sich die Nase»? Gerade dachte ich, es sei Ruhe eingezogen in mein Leben, nicht zuletzt durch Gerd. Was Rühmkorf mir heute schrieb und gestern Muschg über die vis-à-vis mir offenbar gänzlich abgebaute Beiß-Hemmung (die Kehrseite vom Kriechen), die ständige Attacke von Harich/Marx oder Rowohlt-Affäre, aber auch die «Schicksals»-Attacke à la Eckfried und Bernd: Was ist das? Und wie lebt man damit?
Sehr unverständig allerdings, auch das verwirrt mich zumindest, wenn nicht mehr (weniger): meine Mondäne. Ist sie doch ein sehr kurzer Mensch? 14 Tage mit ihr in Gran Canaria – und, es sei denn, ich «erzwang» es, kein ernsthaftes Wort. So, wie sie ißt – d. h. NICHT ißt: nämlich 3 Minuten nach dem Frühstück im Auto an den Strand schon wieder in einer Joghurt herumlöffelt, 10 Minuten nach einer Orange am Strand einen Tee trinkt, gleich danach Sodawasser oder wieder einen Apfel: also einen Häppchenwirbel zelebriert (manchmal scheint die Hauptsache, die Sachen werden ihr bereitet) – – – so konzentriert sie sich auf ein Thema bzw. nicht. Ob sie vielleicht GARNICHTS in ihrem Leben ernst nimmt, an allem nur nippt – Liebe, Kunst, Arbeit; eigentlich das ganze Leben. Ich muß mich aus dieser Beziehung ganz, ganz leise herausziehen, sie passt nicht (mehr?) zu meinem Leben.
Zu meinem Seufzer: «Stell dir vor, in der auflagenstärksten europäischen Illustrierten stünde Vergleichbares über dich» kam ein eher mokantes: «Ich schreibe ja auch nicht solche Bücher.» Solche Bücher!!! Als hätte ich eine kleine schwule Fickfibel geschrieben. Nein, sie schreibt nicht solche Bücher und keine anderen: Sie schreibt eben garkeine.
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Besuch in Marbach
Sonderbare Doppelrolle: Tucholsky-Verwalter und FJR von Beruf. Sehr berührt – und «klein» geworden, was Tucholsky doch für eine große Welt errichtet hat, 100e
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