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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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auch, daß Menschen das machen, mit-machen, mit sich machen lassen. Ob diese leise Veränderung in mir auch mit Gerd zu tun hat? Mit älter, müder, dem Tode näher ohnehin. Aber – im Moment ist ja Wahn, Abenteuer, Jagd aus meinem Leben weg; es ist «beschaulicher» geworden – ich saß sehr gerne dort am (15 Taxi-Minuten entfernten) kleinen Fischerhafen abends alleine, aß den ewigen Greek Salad und den Swordfish oder Dorade, trank meinen Wein, schaute den heimkehrenden Fischerbooten und den auf Fang wartenden Katzen zu – und war ganz «at ease».
    Gerd hat übrigens heute Geburtstag, und ich habe bißchen ein schlechtes Gewissen. Andrerseits ist/war es ja keine Lustreise, sondern wirklich für die Zeitung – und morgen Fernsehen für Tucholsky, was ich ja auch nicht Herrn Zwerenz überlassen konnte; denn immerhin bin ich der Mary das schuldig – bei der Einschaltquote dieser Sendung (wie der SPIEGEL natürlich wieder nicht ohne Häme ankündigen kann). Ich hab ihm natürlich – noch aus Hamburg und entsprechend zum Datum «organisiert» – geschrieben und einen schönen Strauß geschickt; trotzdem klang er heute morgen etwas kläglich. Tatsächlich finde ich ja, wohin immer ich reise, als erstes in jedem Hotel ein Fernschreiben – – meist mit einem Witz, einer Anspielung, einer kleinen Pointe oder auch Zartheit; übrigens nie direkt, sondern – rätselhafter Mensch – verklausuliert. So kam zum Weekend (Brecht per Fernschreiber!) dies Gedicht:

    Er hat gesagt
    Ohne Dich
    Kann er nicht leben
    Rechne also damit,
    Wenn Du ihn wiedertriffst.

    Ich finde es nicht sentimental-kitschig, durch die Zitat-Verfremdung.
    Und nicht mal juristisch kann ich wirksam vorgehen – erst NACHDEM (falls) Briefe von mir an Johnson, die das Bürschlein doch gewiß auch hat, in einer Schmierenpresse veröffentlicht wurden, könnte ich klagen – präventiv garnix. Absurd.
    Diese Wehrlosigkeit macht mich kaputt. Ich kann ja nicht mal jemandem erläutern, daß ein Brief zwar authentisch sein mag, aber sein INHALT es doch deswegen noch nicht ist. Johnson, der heimlich sich in Kurzwellen-Telefonate einblendete und dann mir «Indiskretion» vorwarf, hat die irrsinnigsten Dinge behauptet: daß Grass seine Ehe zerstört habe; daß Enzensberger seine Schwägerin umgebracht habe (die in einer Enzensberger gehörenden Wohnung in Westberlin zur Zeit seiner Abwesenheit verbrannte); daß die eigne Tochter nicht die eigne Tochter sei: lauter Wahn- oder Paranoia-Ideen, was man ja auch im SPIEGEL oder im Stern weiß und wußte. Also wird eine Johnsonsche Wahnidee als Wahrheit verkauft – um mich zu «erledigen».
    Wie weiter? 1

    Herrn
    Dr. Theo Sommer
    Chefredaktion DIE ZEIT
    6. Juni 1984

    Lieber Ted (Sommer),

    ohne von Ihnen darum gebeten worden zu sein; aber weil mir daran liegt, daß Sie wissen, um was es eigentlich in dieser «Spiegel»- und «Stern»-Verleumdungskampagne geht, hier ein paar erläuternde Zeilen. Was ich Ihnen hier aufschreibe, kann ich Wort für Wort beweisen, anhand von Briefen oder Artikeln. An dem, was in diesen Blättern steht, ist KEIN WORT WAHR. Wenn ich mich je – in all meinen Beziehungen, Verflechtungen und Entfernungen mit komplizierten Literaten – einem gegenüber aufs Nobelste verhalten habe, dann heißt der Uwe Johnson.
    Mit ihm war ich seit Anfang der sechziger Jahre eng befreundet; das nahm seinen Anfang durch meine – wie er mir wörtlich schrieb: «die beste» – Kritik zu seinem ersten Roman. In den Berliner Jahren ging ich bei ihm ein und aus, war mit seiner Frau und – «Onkel Fritz» – der Tochter eng befreundet. Die Tochter war gelegentlich mein Gast in Hamburg; davon gibt es noch heute Fotos und «Bedanke-mich»-Briefe.
    Wir blieben während seiner Amerika-Jahre in Kontakt, ich besuchte ihn in New York. In diesen Jahren begann sein Alkoholismus – ein Janssen der Literatur: genial und verrückt. Allmählich veränderte sich seine Charakterstruktur – er wurde jener «schwierige Freund», als den Grass ihn noch in seinem kleinen Nachruf bei uns im Feuilleton bezeichnete. Wenn andere Menschen en famille «Schiffe versenken» spielen, spielte er «Menschen versenken»: Er beleidigte seine Freunde, prügelte, trank bis zur Bewußtlosigkeit (verprügelte zum Beispiel in meiner Wohnung einmal James Baldwin und Ledig gleich mit). Anfangs dachte jeder seiner mehr und mehr verwirrten Freunde, das gälte nur ihm: Hans Mayer oder Walser, Jürgen Becker oder Grass.
    Bis die Zersetzung so

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