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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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von Büchern mit und über …; schrecklich auch diese gesamte Archiv-Welt; ein Kafkabrief (DER Kafkabrief, an den Vater) im Safe, wo ihn so gut wie nie jemand sehen darf und kann, Reliquie – – – welchen Sinn hat das? Ein ganzes Depot voller Büsten und Totenmasken, wie bei einem Grab-Steinmetz, eine Horrorkammer, wo auch Tucholskys Totenmaske in Samt und Pappe gehüllt liegt. Wozu, für wen. Da ein Koffer von Gerhart Hauptmann, der nicht geöffnet werden darf, und dort ein Karton Hofmannsthal-Nachlaß, sekretiert bis zum Jahre X – unheimlich, tot, sinnleer. Arbeitet man DAFÜR? Daß irgendwo Papierberge von einem dämmern?
    Bedrückte mich noch den ganzen Abend, weil ich ja, genau umgekehrt wieder, DAS in Marbach besprach, nämlich MEINEN Nachlaß dorthin zu geben (und was ich, Junggeselle, ja auch rechtzeitig regeln muß: wohin mit Manuskripten, Arbeiten, Korrespondenzen). Nur: Wieso – wohin? Damit es dort modert? Dafür lege ich mich krumm? Es ist schein-logisch wie die Absurdität, daß ich Tag für Tag schufte, um mir noch irgendeine kleine Max-Ernst-Skulptur zu leisten – – – während ich bereits jetzt mit dem Senat verhandle, wohin «demnächst», also nach meinem Tod, mit dem Zeuch …
    Tübingen, Besuch bei Mayer
    Tübingen wie immer niedlich, schon Frühling, schön, still, freundlich. Mayer wie immer hektisch-verlogen, diesmal verlogen-freundlich. Ich glaube kein Wort von ihm, nichts, was er schreibt, nichts, was er sagt. Auch seine aesthetischen Urteile sind vollkommen nach Laune austauschbar. Mal ist er Handke-Entdecker, mal kann Handke nicht schreiben. Neulich fauchte er mich noch an, ich habe nie ein Buch von ihm gelesen, jetzt hieß es bei jedem Take während der Aufnahmen, der Film würde eben so besonders gut, weil ICH ihn fragte, jemand, der eben jede Zeile von ihm kenne. Grotesk, so verlogen ist auch jede Zeile in seinen Memoiren, ob die erfundene Brecht-Nähe oder was immer, zu Teilen kann ich’s ja noch kontrollieren (Brecht hat ihn kaum gekannt). Er lügt sich seine eigene Biographie zurecht (tun wir das alle?), und er lügt sich seine Urteile zurecht; daß er KUHAUGE so wundervoll findet, ist eben auch nur eine Laune (wie übrigens bei Fichte, der kakelnd vom «großen» Buch spricht, wohinter er wegschminkt, daß er in Wahrheit außer sich ist und es empörend findet, daß ich ÜBERHAUPT schreibe).
    Gibt nichts her, keine eigene aesthetische Theorie, nichts. Und die Begegnungen sind meist erfunden oder übertrieben, Adorno sprach z. B. immer von dem «kleinen jüdischen Anwalt aus Köln»; aber jetzt, wo er sich nicht wehren kann, war er «mein Freund» (wie Celan oder sonstwer – nur bedeutende Leute waren seine Freunde).
    Wien, bei Hausner
    Hm. Der Wienbesuch im ganzen war schön, im Sacher wunderbar gegessen, sogar Oper – Rigoletto – gefiel mir, obwohl ich doch nur wegen Gerd Karten besorgt hatte. Intensiver Besuch bei Hausner, dessen Malweise mir eben doch sehr liegt und von dem ich SEHR gerne ein Bild hätte; ein frühes, das ich herrlich fand, hätte 100.000 gekostet. Schade. Angeblich malt er mir – «über Geld reden wir nicht» – eins bis Ende des Jahres, ich würde mich mächtig freuen.
    Natürlich auch eitel und eigenes Sonnensystem, aber nicht so aufdringlich-pappig wie bei Mayer. Der Riesenbesitz, die 2 Rolls-Royce, der Park mit Schwimmbad, Atelier-Riesenbau etc., hat mich natürlich sehr beeindruckt, aber das Gespräch mit ihm auch – und die, immer mal wieder, Erkenntnis: Froh, mit sich eins ist so jemand nur, wenn er allein ist; die Frau ist angenehm und hat leise da zu sein – aber sprechen, denken, arbeiten – das nur allein. Wie weit und versteckt vom Haupthaus das Atelier – das wurde mit Zwinkern zugegeben.
    Im Dehmel traf ich noch Hrdlicka mit einem dicken, rosaschweinchenhaften Mettchen, sie kamen offensichtlich grade aus dem Bett, und sie piepste nur immer in diesem scheußlich-melodiösen Österreichisch: «I meht noch a Äichen haben» – und wurde gefüttert wie ein Marzipanschwein. Komisch auch, wie selbstverständlich das ist – daß es da eine Ehefrau gibt, aber man «natürlich» unentwegt so kleine Affärchen hat.
    Köln, vorgestern bei und mit Robert Wilson
    Aufführung dieses Teils von CIVIL WARS wunderbar, ein Märchen. Irritierend nur, daß ich neben dem Regietisch sitzen mußte: Man will nicht sehen, wie ein Märchen technisch hergestellt wird, sondern in die Bilder eintauchen. Dies wischte den Staub von den Flügeln. Aber

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