Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
befremdlicher vor, wenn Rühmkorf – der das seine zur Publikation glättet, stilisiert; bin nicht sicher, ob das ganz zulässig – seiner im Saal sitzenden Frau ins Gesicht Absätze von seinem Puff-Vergnügen vorlas.
Ulkig dabei, wie wieder einmal Lichtjahre fern von aller Kultur der SPIEGEL berichtet, eine Mischung von HEPP, HEPP: «Wir haben wieder zwei (Rühmkorf und mich) erlegt» und kindhafter Dummheit wie Unbildung: Einer dieser Namenlosen, die sich dort tief frustriert ihre teuren Eigentumswohnungen verdienen, weiß zu rügen, daß man nicht zu Lebzeiten Tagebücher publiziert – der Mann muß also allen Ernstes nie die Namen Gide, Gombrowicz oder Jünger gehört haben. Wie man so einen Unsinn denunzierender Untertanen drucken kann. Es hat das Bildungsniveau eines Museumsbesuchers, der nur «Busen» sieht. Interessant, wie dieser Flegel-Journalismus im Bereich des Politischen funktioniert, eine Art Aufseher-Funktion hat – Macht darf man denunzieren – und wie genau dieses Prinzip im Bereich der Kultur NICHT «greift»: Dieses «Ich zeige Sie an» von Verkehrspolizisten ist dem Objekt Kultur so fern, daß einem die Schreiberlinge (deren Tagebücher z. B., weil sie ja «niemand sind», auch niemand läse) geradezu leid tun können. Giftig sein heißt nicht begabt sein.
Am Sonntag bei Antje Ellermann draußen auf dem Lande zum Weihnachts«brunch», den sie gruppieren wollte um Zadek herum – mit dem sie aber (der Hausgast war) wegen irgendwelcher Ruppigkeiten ihrer Tochter Krach bekam. Notierenswert daran ist nur, mit welcher zeremoniösen Selbstverständlichkeit Peter Zadek den «Star» spielt – und gleichzeitig beleidigt ist, daß die Gäste diesem Star nicht huldigen … weil sie sich alle selber für Stars halten: ob Lettau oder Bremer oder Gisela Augstein-Stelly oder Frau Scherrer oder, oder. Nachdem ich, da ich ja – auch gegenüber der leicht verstörten Gastgeberin – ein höflicher Gast bin – eine Weile mit Zadek (übrigens angeregt und seine frechen Pointen genießend) geplaudert hatte, warf er sich einen Mantel um und verschwand zum Deich hin, der Jude aus London zersetzte sich zur Storm-Figur «wegen Nicht-zur-Kenntnis-genommen-worden-Seins». Wobei in der eisernen Konsequenz, mit der er seine Sich-ernst-nehmen-Bizarrerie betreibt, Lettau eigentlich am komischsten ist. Wie ein Sturzbach ergießen sich Berichte über seine Lunge, die Folgen von Kortison, seine Niere, sein ja oder nein noch gut ficken können, seinen Alkoholkonsum und, natürlich, sein Manuskript. Man ist die Wand mit einem Gesicht, an die er hin-spricht. Intellektuelles «Squash». Manche Sätze geben garkeinen Sinn: «Ich sehe meine Prosa jetzt von außen.» Keine Ahnung, was das heißen soll. Oder schließt sich auch mein Aufnahmevermögen, weil ich zur selben Zeit denke: «Hat er denn wirklich nicht das Geld, mal zum Zahnarzt zu gehen», wenn ich die schiefen, verrotteten Zähne sehe, zwischen denen er «Ich muß einen ganz anderen Rhythmus der Worte finden» hervorstößt. Er ist Ästhet bis zur Beobachtung, ob jemand die Gabel falsch hält, und kann derlei auch wunderbar fixieren oder kommentieren, auch die falsche Farbe eines Pullovers oder eine billige Cigarettenmarke, also ein «Materialist» im Sinne von Ding-Fetischist: aber selber ungepflegt, schwitzend, schwarzzähnig und strähnehaarig. Er ist sein eigenes Objekt.
Abends dann noch zur sehr berührenden «Lichterkette» um die Alster, 400.000 demonstrierten gegen Ausländerhaß, vom Chefarzt zum Punker, von kinderwagenschiebenden Emanzen bis zur Kleinbürgerin, deren Hauptanliegen war: «Hoffentlich bekleckern die mit ihren Kerzen nicht den ganzen Rasen.» Bei aller berechtigten Entrüstung und Besorgnis im Ausland über diese Mordbuben: Auch DAS sollte zur Kenntnis genommen werden. Wird aber nicht.
Die Inhaberin respektive Mitinhaberin respektive Bewohnerin von drei riesigen Luxuswohnsitzen: «Mich langweilt diese Art Mitleidsveranstaltung und Mitleidstourismus. Die Leute sollen lieber ein Flüchtlingspaar aufnehmen, bei sich zu Hause.»
Gräfin Dönhoff und Dr. Sommer, beide höchstbezahlte ZEITherausgeber, spendeten für die von mir initiierte «Rettet Auschwitz»-Sammlung je DM 100.
Bei Volker Skierka zu Gast. Der ebenfalls anwesende Herr Wickert, ein Fernseh-Ansager, sagte auf meine Frage, warum – im Gegensatz z. B. zu Frankreich – in einer/seiner Nachrichtensendung so wenig bis garkeine Kultur vorkäme: «Die Leute wollen keine Kultur.» Mein
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