Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
immerhin 8 Jahre gesessen!); man will sich nicht die Ruhe im Einweckglas mit Verfalls-Datum stempeln lassen.
Der erste New-York-Tag, reines Flanieren im strahlenden Mai-Sommer durch die Eleganz dieses Teils der Stadt. Befremdet über die Einsamkeit der Menschen, die selbst im Gehen auf der Straße telefonieren (gewiß mit einem Anrufbeantworter) oder – wie mittags an der Bar im Plaza – auf einen einquackeln: über ihren Papa, ein Haus in Marbella, die zwei Brüder, ein Dinner in Wien, wo … lauter fremder Unsinn, der niemanden interessiert.
Will mir einen genießerischen Abend mit Drinks im St. Regis, Theater und late dinner im Algonquin machen.
Hotel Nestroy, New York, den 17. Mai
Rührquirl-Notizen auf dem Rückflug von einer New-York-Woche, nach Trump-Tower-Espresso-Abschied und «letztem» Spaziergang auf der Mai-Sonnen-überfluteten Park und 5 th Avenue Eindrücke und Gedanken überschneiden sich.
Vor allem unzufrieden mit mir: Bin ich, was Tucholsky «der Affe der reichen Leute» nennt – d. h., «mache ich mich ran» an Berühmtheiten, die mit mir eigentlich nichts anzufangen wissen? Roger Straus käme offenbar nie auf die Idee, mir einen Vertrag anzubieten, auch wenn er «fascinating» sagt, wenn ich von meinem neuen Buch erzähle, oder: «But that’s more than an article, that’s a book», als ich von meinen AIDS-Recherchen erzählte. Arthur Miller – nett, offen, landarbeiterhaft in verschmutzten Jeans von der Gartenarbeit bei improvisiertem Lunch («Inge, wo sind die Teller» …) auf seinem enormen Roxbury-Landsitz mit eigenem See – muß sich mal knapp nicht meinen Namen für die Widmung buchstabieren lassen; übrigens in einem erbärmlich-nichtigen Stück («The last Yankee»), schülertheaterhaft. Das darf man also bei Weltruhm, da wird man auch («Die haben ein sehr gutes Honorar bezahlt») zu 10 Tagen Argentinien eingeladen – der Vortrag «Freedom of the Press» kann ja nicht umwerfend gewesen sein.
Jedenfalls waren die – verblüffend und irritierend – vulgär Schwules behandelnden – Stücke, die ich sah («Jeffrey», «Angels in America»), dramaturgisch derart primitiv, daß auch die wie üblich zur Perfektion gedrillten amerikanischen Schauspieler das nicht anheben konnten. Sie wurden von einem Dompteur, nicht Regisseur, von Lach-Nummer zu Transvestiten-Witz und zu frivoler statt shakespearescher Heiterkeit (oder Sentimentalität) gepeitscht. Keines der 3 Stücke hatte eine Struktur, hatte inneren Ernst, Würde. Das bei dem Thema! Aber: Erfolg …
Inzwischen singe ich meine Provinz-Nummern, gebe Feste für Leute, von denen ich wie nach einem Restaurant-Besuch nie wieder höre, bzw. mit Gästen wie Rühmkorf, der mich noch nie in seinem Leben auch nur zu einem Bier eingeladen hat; ich weiß nicht mal, wo er wohnt: So oft war ich sein Gast … Dafür läßt er sich die Büchner-Preis-Laudatio von Wapnewski halten. Ein solidarischer Kollege!
«Mache ich mich also ran»? Auf Häppchen- und Champagner-Ebene – die meine Herren Literatenfreunde nicht mal genießen: Sie sehen kein Bild, sie mampfen das Essen rein, sie stellen die Stühle um, damit sie besser mit dem Jeweiligen schwätzen können –: bramsig, großfüßig, un-mondän (im französischen Sinne des Wortes). So fühle ich mich einerseits auf dem «Parkett» in Paris oder New York wohler, bin andererseits dort natürlich nicht zu Hause; meine Arbeit kennt hier ja überhaupt niemand – in Paris eventuell ein bißchen. Es könnte gut sein, daß sie hinter vorgehaltener Hand fragen: «Was macht der eigentlich?» Ein Random-House-Bubi, den mir Inge heiß empfahl, hatte schlicht keine Zeit für einen Drink; einerseits zu Recht – was gibt’s schon mit mir zu bereden. Andererseits nicht zu Recht: Schließlich bin ich auch Autor – herrlich, sich vorzustellen, man schreibe gleichsam zufällig einen Bestseller oder bekäme einen richtigen Preis: wie sie einem hinterherliefen!
Ein griesgrämiger «Rührquirl». Dabei waren es schöne, heitere, auch gemächliche Tage, seit Jahren mal wieder in der neu-überraschenden Frick Gallery – bietet nicht nur Reichtum, sondern erlesene Kunst, was diese Gründerväter doch um sich drapierten, halbe Schlösser und Museen (und das alles per Schiff, ohne Telefon).
Unvorstellbar, daß ich doch in früheren Jahren die New Yorker Nächte bis morgens um 5 «genoß» und die sonderbarsten, witzigsten Kurzaffären hatte, von Allen Ginsberg zum Pagen. Nun abends brav 1 Drink, Theater,
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