Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Pseudo-Dreiecksgeschichte in gestelztem Bedeutungsdeutsch, als gäbe es Madame Bovary oder Effi Briest oder Mlle. Maupertin nicht bereits. Alles von parfümierter Künstlichkeit statt kunstvoll – und störend die aufgesetzt wirkenden Actualia: bißchen Skinhead, bißchen DDR-Wirtschaft, bißchen Scenen-Jargon. Botho Strauß ist – if so – Essayist, Erläuterer, kein Bild-Werfer, kein Dialogschreiber. Letztlich schreibt er über seine Figuren, statt sie sprechen zu lassen.
7. August
Zurück aus Bayreuth/Salzburg.
Diese Fest-Woche hatte ja EINEN Atem, beginnend mit dem Tristan über das Strauß-Stück bis zur Poppea: die Versuchungen, Gefährdungen und Abgründe der Liebe, die doch zugleich wenn schon nicht als «eine Himmelsmacht», so doch als bestimmende Kraft des menschlichen Lebens begriffen wird/wurde. Nur: Ich tue das nicht (mehr). Was mich doch in jüngeren Jahren so sehr umgetrieben hat, zur Verzweiflung oder zum steilen Jubel-Glück brachte: ist einfach nicht mehr da. Ich verstehe gleichsam die ganze Aufregung nicht mehr, sehe nur Händeringen, Augen gen Himmel schlagen und Fäuste an die Brust pressen und denke so vor mich hin: «Mein Gott, was für ne Uffrejung, nu seid ma bißken ruhiger, wird schon nicht so schlimm wern.» Die Bahn älterer Menschen erschüttert zu sehen durch «Liebe» (gar Sex) scheint mir lächerlich, das Leben hat doch eine «Bahn» auch im Sinne von Kurve, und der abnehmende Mond soll nicht tun, als könne er die ganze Welt noch in Silberglanz tauchen.
Insofern war auch die vergangene Woche in Berlin (ich flog noch am Tage meiner Rückkunft aus Salzburg weiter nach Berlin) ein Spaziergang um mich herum.
Der Abend bei und mit Wapnewski durchaus das «Abschluß-Bild» in der Mischung aus Weltverachtung und Melancholie in der Küchenschürze. Die hatte er allen Ernstes umgebunden, servierte als Vorspeise geröstetes Brot, das Ganze auf einem Mini-Balkon, neben zum Trocknen aufgehängter UNTERwäsche. Es gab ein Essen, wie es im Moment «in» ist: kärglich-kostbar, ärmlich-fein; selbst-gebackene Kartoffelpuffer mit Lachsstreifen, dazu allerfeinsten Champagner, dann wiederum mickrigen Käse, aber (den weiland von mir geschenkten, aber scheußlich schmeckenden und nach Kork riechenden) Brunello di Montalcino. Alles wirkte wie ein Abschieds-Abend, es roch und klang förmlich nach ausrinnendem Leben. Die Geschichte, die Wapnewski dazu erzählte, wirkte wie ein Pünktchen auf dem i: Seine Frau Monika macht in Volterra augenblicklich überlebensgroße TONfiguren und hatte die 15 fertigen zu einer Gruppe im Garten arrangiert. Wapnewski, unter dem «Vorwand», den Garten sprengen zu wollen, stolperte und zerschmetterte «alle neune», d. h., die letzten 2 «Überlebenden» riß er Lasso-gleich mit dem Schlauch um und zu Scherben. Freud hat nicht umsonst gelebt.
So liegt über allem ein dünner Film, der Menschen voneinander entfernt.
Kampen, den 15. August
Allerlei Nachträge.
Z. B. über den Besuch des SPDpolitikers Vogel in der ZEITredaktion. Ein mittlerer Postbeamter, der KEINEN EINZIGEN Satz in eigener Sprache formulieren kann, NUR in dem gestanzten «Ich-gehe-davon-aus»-Deutsch redet, die exakte Information an der ZEIT lobt – die ja nun gerade KEIN Informationsblatt, sondern ein REFLEXIONS-Blatt (if so) ist, dessen Lieblingslektüre – O-TON! – das Kreuzworträtsel im Magazin ist und auf meine Intervention hin – «Diese Ihre Lieblingslektüre erklärt einem vielleicht, wieso die SPD nicht mehr der Ort irgendeiner geistigen Debatte ist» – antwortet: «Aber dann lesen Sie doch die …» (folgt irgendein Parteiblättchen); und der auf meine Bemerkung, die geistige respektive eben nicht-geistige Entwicklung der SPD könne man doch eventuell, pars pro toto, an der Entwicklung vom ehemaligen Blechtrommler Grass zu dessen Austritt aus der SPD nachzeichnen, nur zu antworten weiß: «Ich selber war es, der Grass in die SPD aufgenommen hat, das Dokument trägt meine Unterschrift.» Aufgenommen – als sei es ein sakraler Akt, eine Gnade. Und das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun – sie können alle nur eines perfekt: Antworten geben, die mit den gestellten Fragen NICHTS zu tun haben.
Dieser ist wenigstens ehrbar; aber KEINE silbernen Löffel gestohlen zu haben ist ja auch noch keine Qualität. Skierka erzählte mir, er habe an dem Tage mit Vogel mittags bei Paolino gegessen, und der – wie Italiener eben sind, gastfreundlich und schlau-großzügig – habe nach
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