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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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als «Arbeitsunterlagen» deklariert – in den Westen kommen lassen, und, kein Zufall, sein «Abschiedsbrief» an die DDR ist in MEINEM Rowohltbüro geschrieben und trägt den Absender Rowohlt Verlag. SO sieht des Herrn Mayer «plötzliche Flucht» aus.
    17. Juli
    Im ganzen war Kampen dieses Mal un-leicht.
    Ertappe mich dabei, junge Eltern mit ihren Kindern zu beobachten, die wie Enten-Eltern um die Brut herumschwimmen, ihnen etwas beibringen, sie bewachen/behüten, und dabei, daß ich traurig bin; so eins «hätte ich doch …». Spüre ja auch, wie bei meinem klugen Freund Paul der Familienrummel ihn in gewisser Weise trägt – und sei es, daß er sich ereifern, wüten oder mokieren kann: Die «jungen Leute» bringen eine Art Abwechslung, «Neues» herbei. Außerdem – schlau, wie er ist – hat er sich da seine Gemeinde herangezogen. Wenn ihm schon der große äußere Erfolg nicht beschieden war, er in keinem Museum (mehr) hängt, auf keiner Auktion mehr gehandelt wird, so hat er wenigstens seine «intime Clique» um sich, für die er der Größte, das Leit-Tier ist. Es ist wie die Fruchtblase ums Ungeborene, die Schutzhülle, die jeder von uns braucht.
    Derivate davon gestern abend, ganz rührend, bei respektive nach einer Lesung von Sarah Kirsch hier im Dorf (immerhin, es gibt nicht NUR Caviar-Fresser hier, sondern – der Raum war überfüllt – auch anderes Publikum). Sie, eine Mischung aus sensibler Libelle und Marketenderin, verkaufte allen Ernstes MITGEBRACHTE eigene Bücher und beantwortet – wie wir alle – routiniert/angeekelt die dämlichen Publikumsfragen. Aber kleine Selbstbestätigungs-Vokabeln wie «Es war gut besucht» oder «Ich habe viel signiert» spann sie auch wie einen Cocon um sich zur Selbstverteidigung und war über die Maßen gerührt, daß ich – «wirklich von Anfang an?» – da war. Der Abend endete bei Ziegenkäse, Pellkartoffeln und Rotwein.
    22. Juli
    Der Grat vom Intellektuellen zum Nörgler ist schmal – mir scheint, ich habe ihn überschritten: «Tu te parle vieux», sagt man dazu in Paris.
    Gestern abstrus-ausführliches Telefonat mit Rowohlt-Naumann: Auf mein abermaliges Drängen, die Angelegenheit mit den jahrzehntelang in der DDR illegal gedruckten und verkauften Tucholsky-Überdrucken (bei Volk und Welt und Aufbau) zu klären, ich sei das Tucholsky und der Stiftung schuldig, man habe schließlich die Mary veritabel betrogen – – – sagt sogar er: «Na ja, und da fällt ja schließlich auch Geld für IHR Konto ab.» Selbst DEM muß ich noch mal erklären, wohin die Tantiemen für Tucholsky fließen – nämlich zu keinem kleinsten Anteil (leider) in meine Tasche, sondern eben in die Stiftung.
    Interessantes Musik-Erlebnis vor 3 Tagen beim Schloß-Wotersen-Konzert, wo die Hammerklaviersonate gegeben und von Joachim Kaiser interpretiert wurde. Zum einen wußte ich ungebildeter Mensch garnicht, daß das nicht nur Beethovens bedeutendste, sondern insgesamt wohl DIE wichtigste Sonate der Musikgeschichte ist – – – ich liebte sie nur seit Jahrzehnten sehr, und besonders das Adagio –, und AUCH interessant, daß Musik mit Worten nicht erklärbar ist: Mein so eloquenter und begabter Freund Kaiser war brillant, wo es um die Schönheit des Musikalischen ging, da fielen nur Worte wie harmonisch, charmant, genial, zauberhaft; richtig erklären – das allerdings glänzend – konnte er nur die technischen Strukturen des Sonatenaufbaus. Musikalische Schönheit läßt sich nicht dingfest machen.
    Hotel Fondachhof, Salzburg, den 27. Juli
    Graulicher Beinahe-Unfall: Auf der Fahrt von Bayreuth hierher raste – bei Tempo 170 km/h – der Auspuff des Vorfahrers in die Windschutzscheibe (die, einmal wirklicher Vorteil des Luxus-Autos, barst und splitterte – aber nicht brach); das Ding donnerte wie eine Panzerfaust, und Gerd – der fuhr – wäre in jedem anderen Auto tot, ich zumindest bei der erfolgten Zickzack-Carambolage schwerstverletzt. «The Survivor» heißt «Kuhauge» in USA …
    Dem voran ging Isoldes Liebestod, wunderbar gesungen in Bayreuth.
    Boulevard-Schick der «Gleichgewicht»-Premiere von Botho Strauß gestern in Salzburg. Ich fand, daß er lustig-direkt da war, wo er zugleich journalistisch-platt war: Scenen in der U-Bahn, in einer aufgelassenen Straße, deren banale Dialoge à la «300 % Mieterhöhung» aus der «Morgenpost» stammen könnten und die man Hochhuth nicht durchgehen ließe. Das dann unterrührt mit Zen-Bla-Bla und einer

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